Gedicht "1991 in Maffersdorf" I. Schwarz

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        1991 in Maffersdorf

von Inge Schwarz

      
Du zitterst, mein Herz !?
Was wirst du finden ?
Erstes Entsetzen
beim schnellen Erkennen
der Straßen und Bilder:
Röchlitz - Dörfel - Niederdorf.
Nein !  möchtest du schreien.
Da zwängt sich das Auto
schon an den Lobelbirken entlang
auf die Höhe -
ein herzlich freudiges Willkommen -
Vorerst am Ziel,
in der Heimat
daheim.

Du freust dich, mein Herz !
Das erste Morgenlicht,
ein Hahn kräht,
der Zug fährt in die Stadt.
Du bist hellwach
und siehst durch das Fenster
die Berge und Hügel
sich weiten im Dunst.
Mutter Ente führt ihre Jungen
durchs taufeuchte Gras.
Die hohen Birken
noch verhüllen sie
mir mein Ziel.
Aber ich höre und spüre
die Heimat meiner Kindheit -
daheim ?!

Du bangst, mein Herz,
Meine Füße und Augen
sie gehen und gehen
all die Wege der Kindheit.
Sie suchen und sehen
und finden ein Nichts,
Verfall und Verfremdung.
Du wünscht dir ein Lächeln,
doch hinter den blinden Scheiben
steht das Mißtrauen -
und bald erstirbt
dein eigenes
schüchternes Lächeln,
das du bereitwillig schenktest
dem Ziel deiner Reise.
War das deine Heimat,
daheim ?

Du weinst, mein Herz,
Was Bürgerfleiß
und Wohlstand einst erbaut,
geschmückt, gepflegt, gehegt,
es ist dahin,
verbraucht, abgewohnt und ausgenützt.
Vereinzelt blitzt es noch auf
wie ein verirrter Sonnenstrahl
aus grauen Wolkentürmen -
der alte Rhododendron,
wo einst der Park gewesen,
das Stuckornament,
am zerbröckelnden Putz,
das Eisengitter
zart verschnörkelt
vor zerbrochenen Scheiben,
Rosen dahinter -
Die Tränen des Regens
haften daran.
Ist das jemandes Heimat ?
War das das Ziel ?
Wer ist hier noch daheim ?

Du trauerst, mein Herz.
Es heißt Abschied nehmen,
zweifach und wieder.
Im hellen Morgenlicht
auf der Schanze -
meinem Kinderberg
steh ich und schaue
und werde still.
Es grüßt der Jeschken -
mir gefällt von hier
sein zum Himmel weisender
kühngeschwungener Turm.
Es grüßt unser Kirchlein -
ein Edelstein,
wieder blank geputzt
von Glaubenstreue und Opfersinn
auf rostender Krone.
Wart ihr mein Ziel ?
Sucht ich in euch
mein Daheim ?

Du hoffst, mein Herz !
Ich spüre es.
Von meinem Standpunkt aus
verdeckt das Grün
der Bäume und Hügel
das Entsetzen der letzten Tage.
Es duftet der wilde Thymian.
Da sind sie wieder
die kleinen, blauen Glocken,
die weichen Polster des Waldgrases,
die stillen Augen meiner drei Hölleteiche -
ein Kinderparadies auch heute.
Und um meiner Kindheit Haus
laufen wieder zwei halbwüchsige Kinder -
die Enkel wohl -
neugierig
unbeschwert
in ihre Zukunft.
Ich wünsche sie ihnen
in Freiheit,
in Frieden,
in Wohlstand -
für uns alle ein Ziel -
Heimat für alle
daheim !

 

Copyright © by Inge Schwarz 1993 (Heimatstelle Maffersdorf) 

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