DER
KATHREIN-SCHUSTER
(1880 - 1964)
Ein
Tiroler in Maffersdorf
Um die
Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte es sich im
Lande Böhmen wohl herumgesprochen, da β
Maffersdorf ein aufstrebender Industrieort ist und jungen
Leuten Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten bietet. Wie
anders wäre es z.B. zu erklären, daβ nacheinander
gleich drei Brüder, Bauernsöhne aus Tescheditz im Egerland,
beim Glaser Schuster in die Lehre kamen und als Gehilfen
arbeiteten. Es waren dies Anton (*1882), Alois (*1887) und
Karl Jakob (*1897). Der älteste Bruder Josef half zunächst
zu Hause im Egerland den Eltern auf dem kleinen Hof. Der
Zweitgeborene, Anton, war wohl der erste, der sein Glück in
Maffersdorf suchte und fand: eine Ausbildung als Schuhmacher,
eine Arbeitsstelle bei Liebieg und ein Maffersdorfer Mädchen,
Julie Glaser, als tüchtige Hausfrau. Alois folgte dem
Beispiel seines Bruders. Er schloβ die Lehre ab und
arbeitete noch als Gehilfe in der Schuhmacherei Glaser. 1909
heiratete
er die 21jährige Hermine, Tochter des Schneidermeisters
Robert Beutel, und machte sich selbständig. Ein kleiner Alois
kam zur Welt, und bald lag ein Schwesterchen Hermine in der
Wiege. So wäre das Glück wohl vollkommen gewesen, aber 1912
wurde es jäh durch den Tod des jungen Vaters zerstört. Mit
einem Gehilfen, zu dem dann nach der Lehrzeit auch der
jüngste der Jakobbrüder, Karl, kam, führte die junge Witwe
das Geschäft in der Küche der Wohnung im Gattermannhaus
(Schlenzberg Nr.727) weiter, um die Familie zu ernähern.
In Ischgl im
Patznauntal in Tirol hatte sich zu dieser Zeit Alois Kathrein
nach Lehr- und Wanderzeit als Schuhmacher selbständig
gemacht. Er war 1880 in dem damals kleinen, armen Bauerndorf
Ischgl zur Welt gekommen. Als Schulkind teilte er das Los der
sogenannten "Schwabenkinder". Diese Kinder aus
Tirol, Vorarlberg und der Schweiz kamen im Frühjahr meist zu
Fu β
in Gruppen mit einem "Mittelsmann" über die oft
noch verschneiten Berge ins Schwabenland, wo sie von den
Bauern als "Hüterbuben und -mädchen" für einen
Sommer erworben wurden. Der Ravensburger Kindermarkt war der
bekannteste, er hatte Ableger in Leutkirch, Wangen, Waldsee
und Kempten. Die gröβeren Kinder kosteten 10 - 12, die
kleineren und die Mädchen
4 - 5 Gulden. Dieses Geld erhielten nach Abzug der Provision
und Spesen für den Mittelsmann die Eltern der Kinder; die
Kinder selbst bekamen für die Arbeit eines Sommers das Essen,
Kleidung und Schuhe. Das Schicksal der Kinder hing ganz vom
"Dienstherrn und seiner Familie" ab. An Martini, am
11. November, wurde der Heimweg zurück über die inzwischen
wieder verschneiten Berge angetreten. Hunderte, Tausende
solcher Kinder zogen so wie die Zugvögel in der zweiten
Hälfte des 19. und bis in das 20. Jahrhundert hinein nach
Norden und wieder nach Süden. Es war ein schlimmes Los, aber
die Not in den armen Gebirgsdörfern war erdrückend. Alois
Kathrein erlernte dann das Schuhmacherhandwerk, damals ein
Beruf mit guten Zukunftsaussichten.
Der erste
Weltkrieg brach aus und griff in manches Menschenschicksal
ein. Alois Kathrein war von Anfang an dabei, an verschiedenen
Fronten und in verschiedenen Ländern. So war er u.a. in Polen
bei einer Heeresschuhfabrik tätig und mit Transporten
beauftragt, die ihn auch nach Reichenberg in Nordböhmen
führten. Dabei lernte er jene junge Witwe mit den beiden
kleinen Kindern kennen. Sie hat ihm sicher gefallen,
vielleicht auch das Maffersdorfer Tal; die Berge waren zwar
nicht so hoch und mächtig wie in seiner Tiroler Heimat, aber
es waren Berge, und der Ort war wohlhabend und aufstrebend.
Nach Ende des Krieges und dem Zusammenbruch der Monarchie fuhr
Alois Kathrein jedenfalls zurück nach Ischgl, verkaufte Haus
und Geschäft und heiratete am 3.3.1919 in Maffersdorf Hermine
Jakob geb. Beutel. Die Werkstatt wurde weitergeführt. Der
Schwager und Gehilfe Karl Jakob ging nach Tescheditz zurück
und übernahm als Jüngster den elterlichen Hof, den er bis
zur Vertreibung bewirtschaftete, ein Mädchen aus Luditz
heiratete und im Nebenerwerb als Briefträger das Einkommen
der Familie aufbesserte.
Zurück nach
Maffersdorf. 1920 vergrö βerte
eine kleine Christl die Geschwisterschar. Danach entschloβ
sich das Ehepaar Kathrein, sich in der Schuherzeugung zu
spezialisieren. Das hat wohl ein besseres Einkommen
versprochen. 1928/29 stellte Herr Kathrein auf
Hausschuherzeugung um; er kaufte dazu die benötigten
Maschinen, Leisten und Stanzmesser und mietete das
Nebengebäude der "Drei Federn" als Werkstatt. Da
war mehr Platz als in der Wohnküche. Man konnte gröβer
produzieren. Der Sohn Alois aus der ersten Ehe war inzwischen
19 Jahre alt und ebenfalls Schuhmacher geworden. Ehe er sich
in Reichenberg selbständig machte, half er noch zuhause mit,
die Hausschuherzeugung aufzubauen. Erzeugt wurden Kamelhaar-,
Filz- und Lederhausschuhe. Das Hauptgeschäft lief in der
Weihnachtszeit. Geliefert wurde vor allem nach Gablonz und
Reichenberg. Der Mutter oblag die Auslieferung der vielen, groβen
Schachteln. Fest mit Hand anlegen muβte natürlich auch
die Stieftochter Hermine, die zunächst nach der
Schulentlassung "in den Dienst" geschickt worden war
. Sie erlernte die Oberteilstepperei. Von da an war ihr Platz
an der Steppmaschine bis sie 1933 heiratete. Da kam die Nichte
Erna aus Tirol, um den Platz an der Maschine einzunehmen. Als
aber ihr Bruder 1934 beim Heuziehen tödlich verunglückte, muβte
sie seine Arbeit auf dem väterlichen Hof übernehmen. In
jenen Jahren hatte sich auch die Wirtschaftslage dramatisch
verändert: Wirtschaftskrise, Benachteiligung der Deutschen,
Konkurrenz durch die Schuhindustrie Bata, Arbeitslosigkeit und
damit mangelnde Kaufkraft. Das alles lieβ die Zukunft
dunkel erscheinen. Dazu kamen auch noch politische Spannungen
in der tschechischen Republik, zu der das Sudetenland ja nun
gehörte, und der aufkommende Nationalsozialismus im Deutschen
Reich. Da wurde in dem Herzen des Tirolers das Heimweh stark.
Im Frühjahr 1936 fuhr er nach Österreich, um dort eine neue
Bleibe zu suchen. Er besaβ ja die österreichische
Staatsbürgerschaft, so hatte er bald in Kramsach ein
passendes Haus gefunden und gekauft. Nach seiner Rückkehr
wurde alles für die Übersiedlung vorbereitet und im Mai 1936
kam der groβe Abschied, für
die Mutter von den Kindern und Enkeln, für Christl (sie war
inzwischen 16 Jahr alt) von den Geschwistern und Freunden. Es
war ein Weg ins Ungewisse und in die Fremde.
In Kramsach
wurde der Betrieb der Hausschuherzeugung wieder aufgebaut. Es
war die erste Tiroler Firma für Filz-, Kamelhaar- und
Lederhausschuhe. Jetzt hatte Christl die Stelle des Gehilfen
in der Werkstatt einzunehmen. Die Arbeit war hart für die
kleine Familie, und für Mutter und Tochter waren die
Eingewöhnung schwer und das Heimweh schmerzhaft. Alois
Kathrein fuhr mit dem Fahrrad und einem Koffer voller
Musterschuhe auf dem Gepäckträger von Geschäft zu Geschäft
, um Aufträge einzuholen. Es wurden in der Folgezeit
beachtliche Mengen an sehr verschiedenen Hausschuhen bis nach
Bregenz, Telfs, Landeck, Innsbruck, Kitzbühel, St. Johann und
ins Zillertal geliefert, natürlich auch in die nähere
Umgebung. Ja, und die ganze Belegschaft bestand aus Vater und
Tochter, wenn es ganz eng wurde, mu βte
die Mutter noch einspringen. Christl Mayr-Kathrein erinnert
sich noch gut, wie die Vertreter, die die Rohstoffe ins Haus
lieferten, darüber staunten, wie hart sie als Mädchen und
junge Frau unter ihrem Vater arbeiten muβte. Sie kennt
den Grund: "Mein Vater war durch seine harte Jugend geprägt
und kannte keine Rücksicht." Christl Kathrein heiratete
einen Schuhmachermeister und das Geschäft lief noch so lange,
bis die Schuhindustrie auch den letzten Kleinbetrieb
kaputtgemacht hatte.
Aber noch kurz
zum Ende des zweiten Weltkrieges zurück. Das Kathrein-Haus in
Kramsach war die erste Bleibe für den aus der Gefangenschaft
heimkehrenden Sohn und Schwiegersohn. Es war auch die sichere
Anlaufadresse für die aus der Heimat vertriebene Tochter mit
den Kindern und die Schwiegertochter. Da dauerte es gar nicht
so lange, bis die Familien nach der Katastrophe des
Kriegsendes wieder vereint waren und sich jede eine neue
Existenz in einer neuen Heimat aufbauen konnte.
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