Stefanie Patzelt - Nach 18 Monaten am Ziel

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STEFANIE PATZELT
( 1891 – 1982 )

Nach 18 Monaten erst am Ziel des langen Weges
Bericht einer Frau und Mutter

 

Frau Stefanie Patzelt geb. Jech war seit 1909 als Kontoristin, ihr Gatte Wilhelm Patzelt als Webmeister in der Firma Carl Wagner & Co. beschäftigt. Der 1923 geborene Sohn Fritz geriet als Soldat zu Ende des Krieges in amerikanische Gefangenschaft. Die Familie wohnte in Maffersdorf Nr.491, nicht weit vom Sauerbrunn. Ob sie für ihre Enkel ihre Erlebnisse der Jahre 1945 und 1946 niedergeschrieben hat? Ich könnte mir das schon so denken. Hier ihr Bericht. Die knapp und kantig hingeschriebenen Sätze klingen für mich so, als hätte sie das Erlittene nur so wiedergeben können, indem sie die Erinnerungen nicht mehr ins Herz lieβ und ihre Gefühle nicht mehr in Worte faβte. Sie zeugen aber auch andererseits von einer sehr praktisch eingestellten, zupackenden Frau.

"Am Samstag, dem 16. Juni 1945, sind wir abends um 1/2 11 Uhr von zu Hause weggegangen nach Maffersdorf in die Rechtser Turnhalle. Dort wurde den Deutschen von den erlaubten 30 kg Gepäck bei der Durchsuchung das Beste weggenommen. Es sind sehr häβliche Dinge geschehen. Sonntag früh gegen 6 Uhr wurden wir unter Bewachung durch tschechische Partisanen nach Reichenberg getrieben. Schlieβlich lieferte man uns in das Gelände des Badeteiches Rosenthal I ein. Den ganzen Vormittag haben wir sehr gefroren, äuβerlich und innerlich; nachmittags sind wir etwas in der Sonne gesessen. Abends wurden wir zum Reichenberger Bahnhof geschafft, wo das Gepäck nochmals ausgeplündert wurde. Dann hat man uns bis nach Grottau gefahren, Aufenthalt, Gepäckkontrolle. Hier wurden wir von der 3. Gruppe bestohlen. Viel ist nicht mehr übrig geblieben von den 30 kg. Dann ging es weiter nach Zittau, wo wir die ganze Nacht auf dem Fuβboden des Wartesaales gelegen sind.

Früh mit dem Zug bis Herwigsdorf gefahren. Bahnunterbrechung: zu Fuβ nach Oderwitz. Dann Weiterfahrt nach Sohland. Da auch hier die Bahnlinie wieder unterbrochen war, haben wir in Sohland bei Frau Lina Harnisch Nr.308 übernachtet. Mein Mann Willi und Ernst Diwok haben abends noch mitgeholfen, das Futter zu mähen. Anderntags zu Mittag sind wir zur Bahnstation nach Schirgiswalde gelaufen und bis Wilthen gefahren. Hier gleich neben der Bahn im Barackenlager übernachtet, schön geduscht und gebadet. Am nächsten Morgen kamen wir mit dem Zug noch bis Ottendorf, wieder Bahnunterbrechung. Also Fuβmarsch nach Berthelsdorf und Übernachtung bei Familie Marschner. In einem kleinen Zimmer haben wir auf Stroh geschlafen, sehr gut. Dort übernachteten auch Herr und Frau Ilchmann vom Grünen Tal und Herr Simon Sattler. Früh liefen wir gemeinsam nach Neustadt zum Bahnhof und fuhren gegen 3 Uhr in Richtung Dresden ab. In Niedersedlitz stiegen wir auf die Straβenbahn um und kamen bis Weihnböhlau. Wir versuchten beim Landwirt und Weinhändler Hermann unterzukommen, wurden aber kurz durch den russischen Verwalter abgewiesen. Nachher noch lange nach Quartier gesucht. Endlich 11 Personen bei Familie Bruno Horst untergekommen, sehr gut im Bett geschlafen.

Am Morgen des 22. Juni sind wir wieder gemeinsam zuerst nach Niederaue und dann weiter nach Meiβen gelaufen. Zuerst haben wir verschiedene notwendige Sachen eingekauft, dann gab es im Rathaus einen Berechtigungsschein für Mittagessen in der Jugendherberge, doch muβten wir das Essen bis in der Schule in Triebischtal holen. Nachmittags gings mit dem Zug von Triebischtal bis Nossen, dort stiegen wir in einen Zug Richtung Riesa um. Wir kamen bis Lommatzsch, stiegen aus und suchten ein Nachtquartier. Im Dorf Schwochau sind wir bei Herrn Gerlich auf einem groβen Bauerngut untergekommen. Zwei Nächte auf Stroh in der Scheuer geschlafen. Samstag haben wir auf dem Felde in den Rüben gearbeitet, welche sehr verunkrautet waren. Sonntag früh bekamen wir ein Zimmer zugewiesen, das wir gleich sauber gewaschen und mit einem Strohlager eingerichtet haben. Am Montag war ein Gewitter mit Regen, daher vormittags im Keller Kartoffeln verklaubt und erst nachmittags wieder in den Rüben gearbeitet. Wir arbeiteten den ganzen Sommer in Schwochau. Wir, das waren mein Mann und ich, Frau Heine, Berta Jech, Ernst und Marie Diwok mit den beiden Mädchen, Rudolf Wundrak und Frau mit Tochter Margit und Dietmar, Josef Bubak und Frau mit Tochter Rosl.

Am 10. September war Margit Wundrak mit starken Halsschmerzen von Magdeburg zurückgekommen, wo sie bei Bekannten gewesen war. In der Nacht zu 11. ist sie gegen 2 Uhr an Diphtherie gestorben. Am Freitag, dem 14.9. waren wir alle in Meiβen, wo sie eingeäschert wurde. - -

Im Herbst 1945, als die Ernte eingebracht war, wurden wir (mit Ausnahme von Familie Bubak, die in Lommatzsch blieb) mit einem Transport weitergeleitet, wir landeten dann im Mansfelder Seekreis in Augsdorf bei Hettstedt. Dort verbrachten wir ein Jahr.

Im November 1946 sind wir, Willi und Stefanie Patzelt, über das Sammellager Rottleberode mit einem Transportzug in das Lager Friedland überführt worden und haben dann am 6. Dezember 1946 unseren jetzigen Wohnort Süchteln erreicht. - -"

Den guten Schluβ der Odyssee hat mir der Sohn Fritz erzählt. Pfingsten 1946, noch in Gefangenschaft, hatte er über einen Onkel in Innsbruck den Aufenthaltsort der Eltern, nämlich Augsdorf, erfahren und mit ihnen Kontakt aufgenommen. Als er im Oktober 1946 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen wurde, baten sie ihn, im Westen zu bleiben, denn es bahnte sich für sie der Ortswechsel nach Süchteln an. Das kam so: Ein Herr Ing. Ruthardt hatte seine Webstühle vor und während des Krieges nach Maffersdorf zur Fa. Wagner und auch zur Fa. Rossié nach Süchteln geliefert. Dieser Herr Ruthardt verschaffte Herrn Wilhelm Patzelt, den er ja als ausgezeichneten Webmeister gut kannte, einen Arbeitsplatz in Süchteln. Der Weigelt Josi - Sohn des Schneiders - wiederum, der, aus der Gefangenschaft entlassen, in Halle im Hauptamt für Interzonen- und Auβenhandel arbeitete, brachte das Ehepaar Patzelt in einem Facharbeitertransport nach Friedland unter. So gab es am Nikolaustag 1946 ein frohes, langersehntes Wiedersehn. Leider erlebte der Vater den folgenden Nikolaustag nicht mehr. Er starb im September 1947, nicht ganz 55 Jahre alt an einem wandernden Lungensteckschuβ aus dem 1. Weltkrieg. Der lange Weg nach Süchteln wird wohl auch etwas dazu beigetragen haben. Mutter, die 1946 noch an Magenkrebs operiert und mit ein- bis höchstens eineinhalbjähriger Lebenserwartung entlassen worden war, wurde fast 92 Jahre alt und starb 1982 an Altersschwäche. Sie hat ihre drei Enkelbuben aufwachsen sehen und vielleicht für sie ihre Suche nach der neuen Heimat aufgeschrieben.

 

 

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MAFFERSDORF - Marktgemeinde im Landkreis Reichenberg - SUDETENLAND