Die Lokalbahn
Reichenberg - Gablonz a.N.
Bei der Eisenbahn haben es die
Maffersdorfer dann wohl ganz besonders gut machen wollen, denn
welcher Ort mit rd. 7.000 Einwohnern verfügte oder verfügt
schon über vier (!) Bahnhöfe? Man konnte in
Maffersdorf-Fabrik, Maffersdorf-Schänke,
Maffersdorf-Sauerbrunn oder Proschwitz (auf Maffersdorfer
Grund !) den Zug besteigen, um nach Gablonz, Reichenberg oder
in die weite Welt zu fahren. Ich will aber nun ernsthaft etwas
aus der Schrift von Alfred Appelt "Zum 50jährigen
Bestande der Lokalbahn" erzählen.
"Im Monate November 1938 waren
fünfzig Jahre verflossen, seit die Eisenbahn feierlich
eröffnet wurde. Diese einfache Feststellung läβt nicht
vermuten, wieviele enttäuschte Hoffnungen, welche Summe von
Mühe und Arbeit, welch zäher Kampf gegen Vorurteil,
Übelwollen und Miβgunst in diesen Eingangsworten
begraben liegen. Es sei gestattet, die Vorgeschichte dieses
Bahnbaues und den wahren Leidensweg bis zur endgültigen
Fertigstellung wieder ins Gedächtnis zu rufen."
Ich will nun etwas straffen und in
Stichpunkten weiterfahren.
1.
Zunächst waren es hauptsächlich die
Gablonzer, die nach einer Bahnverbindung trachteten, um die
Erzeugnisse des heimischen Fleiβes rasch und sicher und
in genügender Menge auf den Weltmarkt zu bringen. Aber der
Bürgermeister Pfeiffer starb zu früh und der Plan wurde von
seinen Mitarbeitern nicht weiter verfolgt.
2.
Der Baron Oppenheimer,
Herrschaftsbesitzer von Klein-Skal, wollte eine
Eisenbahn-Aktiengesellschaft ins Leben rufen. Als jedoch
niemand die Frachtengarantie übernehmen wollte, zerschlug
sich auch dieser Plan.
3.
Der Bezirksobmann Adolf Hübner aus
Gablonz lieβ schlieβlich auf Kosten des Bezirkes und
mit Spenden die Strecke Reichenberg - Tannwald vermessen und
legte das Projekt dem damaligen Handelsminister Schäffle
nebst einer Bittschrift vor. Aber alles was man erreichte war,
daβ man der Süd- Norddeutschen Verbindungsbahn die
Verpflichtung auferlegte, die Bahn zu bauen, "wenn es die
Regierung verlangen würde". Trotz jährlicher
Bittschriften aus Stadt und Land, wuβten die Gegner das
zu verhindern.
4.
1880 wurde nochmals vermessen. Diese
Tätigkeit hatte wie schon so oft keine Folgen.
5.
Nun kam man zu der Ansicht, daβ nur
Selbsthilfe zum Ziele führen könne. Es wurde ein
Arbeitsausschuβ gegründet, in dem neben Reichenbergern
und Gablonzern aus Maffersdorf Anton Hopf, Ignaz Ginzkey,
Anton Schöpfer und Gustav Trenkler saβen. Zum Obmann
wurde Emil Müller aus Gablonz gewählt, und damit war der
Mann gewonnen, der in nie erlahmender Tatkraft und mit
unübertroffenem Arbeitseifer, niemals rastend kämpfte, bis
das Ziel erreicht war.
6.
Es wurden nun eingehende Berechnungen
über den zu erwartenden Personen- und Güterverkehr der 25 km
langen Strecke angestellt. Bei der Industrie fiel ins Gewicht,
daβ sie die Maschinen mit Dampf betrieben und viel Kohle
brauchten. Aus den Ziegeleien hätten die Ziegel schneller und
billiger bei Bahnfracht geliefert werden können. Groβe
Mengen an Rohstoffen (Garne, Wolle, Hopfen, Getreide, Malz ...)
brauchten Fabriken und Brauerein. Und die Fertigwaren sollten
ja auch europa- und weltweit versandt werden.
7.
Im März 1883 sicherte das
Handelsministerium die Beteiligung des Staates mit einem
Drittel der Kosten zu, wenn die übrigen zwei Drittel durch
die Interessenten oder eine Gesellschaft, d.h. die Gemeinden
aufgebracht werden.
8.
Die Stadt Gablonz erwarb die Konzession
zum Bau der Bahn und übertrug sie der Firma Lindheim &
Co. in Wien. In der Person des damaligen Chefs, Wilhelm von
Lindheim, trat nun die zweite Persönlichkeit auf, die sich
mit ganzem Gewichte für die endliche Durchführung einsetzte.
9.
Für Maffersdorf hieβ es nun,
"Sorge zu tragen, daβ den Organen, welche die
Vorarbeiten für den Bahnbau vorzunehmen hatten, keine
Hindernisse in den Weg gelegt werden." (Schreiben des
Bezirkshauptmannes)
A. Appelt meinte: Dieser amtliche Hinweis
war nicht so unangebracht, denn wenn auch die Allgemeinheit
von der Notwendigkeit des Bahnbaues überzeugt war, so gab es
doch namentlich in bäuerlichen Kreisen genug Grundbesitzer,
die nicht einsehen wollten, warum die Bahn gerade über ihre
besten Grundstücke führen sollte, statt den Nachbarn zu
beglücken. Es ist auch keinem Menschen zu verdenken, wenn er
sich wehrte, wenn er von der Scholle seiner Väter, aus dem
alten Stammhause weichen sollte, weil dieses eben ausgerechnet
in der geplanten Bahntrasse lag. Damals wurde kurz der Bau
einer Dampftramway auf der Straβe erwogen.
10.
Am 28.März 1885 begannen die
Vermessungen entlang der geplanten Strecke. Jetzt gab es in
Maffersdorf lange Debatten über die Lage der Bahnhöfe. Ende
1886 muβte die Gemeinde eine Haftungserklärung abgeben,
in der sie sich verpflichtete, jährlich mindestens eine
Frachtsumme von 5.500 Tonnen aufzubringen und falls nicht, je
fehlende Tonne 24 Kreuzer nachzuzahlen. Die Verpflichtung galt
vom Zeitpunkt der Eröffnung bis 1898. Diese Garantie muβte
aber nie in Anspruch genommen werden.
1887 begannen die Arbeiten. Das stille Neiβetal
hallte nun vom Lärm reger Arbeit wider. Für die Bewohner gab
es viel zu sehen. Allabendlich dröhnte der Donner der
Sprengungen weithin durch die Gegend und selbst der nahe
Winter vermochte die Arbeit nicht ganz zu unterbinden. Am
7.Juli 1888 brachte der Frächter Antusch auf seinem
sechsspännigen Wagen die erste Schotterlokomotive auf den
Maffersdorfer Bahnhof, welche 20 Tage später auf der Strecke
Maffersdorf - Proschwitz fuhr. Die Verbindung nach Reichenberg
begann erst mit dem 29.Oktober, an welchem Tage die Lokomotive
"Maffersdorf" von Reichenberg auf dem hiesigen
Bahnhofe einfuhr.
So kam der 25. November 1888 heran, der Tag
der feierlichen Eröffnung der neuen Verkehrslinie. Zum
Empfange des ersten Zuges hatten sich die Gemeindevertretung
Maffersdorf r.N. mit dem Vorsteher Anton Staats und die
Gemeindevertreter von Maffersdorf l.N. mit dem Vorsteher Anton
Hopf, die Geistlichkeit, der Ortsschulrat, alle Lehrer und
Vereine eingefunden. Mit Musik und Gesang wurde der festlich
geschmückte Zug empfangen und nach Begrüβung und
Dankesreden wieder verabschiedet. Erster Stationsvorstand
wurde in Maffersdorf l.N. Herr Hübner und in Maffersdorf r.N.
Herr Ruβ. Im Dezember 1888 fuhren auf der neuen Strecke
19.000 Personen, an den beiden Ostertagen 1889 5714 Personen.
In der Heimatskunde sind noch folgende
Zahlen angegeben: Im Jahre 1900 betrug die Zahl der von
Reichenberg beförderten Personen 95610, die Zahl der Güter
33896 Tonnen. An Fahrbetriebsmitteln besaβ die Bahn
9 |
Tenderlokomotiven, |
45 |
Personen-, |
8 |
Gepäcks-, |
25 |
Güter- und |
2 |
Postwagen. |
Ich möchte schlieβen mit den Worten
A. Appelts: Am 31. Dezember 1888 fuhr das letztemal die gute
alte Postkutsche von Reichenberg über Maffersdorf nach
Gablonz. Ein Stück Romantik weniger, aber der Zeitgeist läβt
sich nicht aufhalten und der Pfiff der Lokomotive - auch er
wird vielleicht einst verklingen, den neuesten Erfindungen des
Menschengeistes weichend.
Ob A. Appelt ahnte, daβ ein
Maffersdorfer mit dazubeitragen würde, die Eisenbahn in
Schwierigkeiten zu bringen?
Drei Jahre bevor er die Festschrift mit dem
oben angeführten Satz schloβ, fuhr
Prof. Dr. Ferdinand Porsche auf dem Stuttgarter Killesberg mit
dem von ihm gebauten "Volkswagen" die ersten
Versuchsrunden. 1938 war der VW dann in seiner endgültigen
Form fertig, und die Deutschen schlossen zu Hunderttausenden
Sparverträge für wöchentlich fünf Reichsmark auf
"ihren" Volkswagen ab. Das Wolfsburger Werk
produzierte aber vorerst Wehrmachtsfahrzeuge.
Ausfahrt
des Zuges aus dem Bahnhof-Schänke
Bahnhof
Maffersdorf-Schänke
Bahnhof
Maffersdorf-Fabrik
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