Eine
Familiengeschichte
Die
Wondrak-Buchbinderei ist wohl jedem Maffersdorfer Kind bekannt
gewesen, sei es, daβ es seine Schulhefte und Bleistifte
dort gekauft hat, oder weil es wuβte, da ist meine
geliebte Kindergarten-Tante zu Hause, die Wondrak-Fritzi. Und
so im Zentrum gelegen neben Gemeindeamt, Pfarrei und Kirche
war sie ja auch nicht zu übersehen.
Über meinen
Vater gelangten zwei maschinengeschriebene Seiten auf feinem
Durchschlagpapier in meine Hände. 1955 hatte sie ein Herr
Josef Preuβler anläβlich des 80. Geburtstages von
Frau Amalie Gerolsky geschrieben, die damals in Gehering bei
Rosenheim lebte. Diesen Blättern danke ich mein Wissen,
welches ich hier weitergeben möchte.
Ich habe
leider keine genauen Zeitangaben, aber es muβ zu Anfang
des 19.Jahrhunderts gewesen sein, als ein Anton Wondrak auf
dem Schlenzberge wohnte, eine Stuhlbauerfamilie in
Maffersdorf. Trotzdem den Reichenberger Tuchmachern im eigenen
Orte einige Stuhlbauer zur Verfügung standen, schätzten sie
die Kunst Anton Wondraks. Man konnte deshalb den langen,
hageren Mann mehrmals im Jahre mit einem Kuhfuhrwerke nach
Reichenberg ziehen sehen, auf den die Einzelteile eines von
ihm gebauten Webstuhles aufgeschichtet waren.
Sein Sohn,
ebenfalls Anton mit Vornamen, sollte die Bäckerei erlernen,
denn das väterliche Gewerbe bot infolge der Technisierung der
Tuchindustrie keine besonderen Aussichten. Aber die Mehlsäcke
waren dem Jungen zu schwer, und er lief seinem Meister davon.
Die ihm im Blute sitzende Bastelfreude zeigte ihm einen
Ausweg. Er erlernte als Autodidakt die Buchbinderei. Da er
zudem nicht nur ein findiger Kopf, sondern auch kaufmännisch
begabt war, begann er mit der Herstellung der damals gangbaren
"Einschreibbüchel" und verhausierte sie an
Kleinkaufleute und Krämer. Bald wagte er sich auch an die
Fertigung von gröβeren und umfangreichen
Geschäftsbüchern. Seine Frau holte er sich aus dem
"Weinberg", einem Zipfel von Dörfel, der zum
Kirchsprengel Röchlitz gehörte. Ihr Vater war der
Neumann-Musikant, der jeden Sonntag nach Langenbruck wanderte,
um beim Hochamt die Trompete zu blasen. Die junge Frau war
nicht verwöhnt und viel Arbeit selbstverständlich. Als
7jähriges Mädchen war sie in die Liebigfabrik in Dörfel
gegangen und hatte oft um 3 Uhr morgens das Bett verlassen
müssen. Und die Arbeitszeit dehnte sich bis in den Abend. -
Ich meine, so etwas muβ man auch wissen, wenn man von der
Industriealisierung in unserer Gegend schreibt und spricht. -
Leider weiβ ich auch den Vornamen dieser Frau nicht, denn
in Maffersdorf war sie bis in ihr hohes Alter eben nur als
" die Wondrak-Buchbinder'n " bekannt, rotbackig wie
ein Apfel, frisch und munter. Ihre fünf Kinder ( von acht
geborenen ) erzog sie umsichtig zu tüchtigen Menschen.
Aber nochmal
wieder ein Stück zurück: Wenige Jahre nach der Heirat gelang
es ihrem Manne, eine Werkstatt an der Maffersdorfer Hauptstraβe,
unweit der Kirche, einzurichten. Das Unternehmen wuchs,
Gehilfen wurden eingestellt. Der älteste Sohn, wiederum ein
Anton, hatte in einer Vergolderei in Glauchau i.S. gelernt und
kam mit neuen Erfahrungen und Ideen zurück. Vater Anton hatte
indessen die erste Liniermaschine in ganz Nordböhmen
aufgestellt, und sein Kundenkreis umfaβte nicht nur das
benachbarte Gablonz und Reichenberg, sondern seine Abnehmer saβen
auch an der Elbe bis Tetschen-Bodenbach. Eine ganz besondere
Kundschaft erwuchs ihm jedoch in der heimischen Teppichfabrik
I. Ginzkey und ihren Familienmitgliedern, die er auβer
mit Geschäftsbüchern aller Art auch mit Kunsteinbänden
(Bücher, Alben, Kassetten) bediente. Zur besonderen
Auszeichnung gedieh ihm die Anfertigung von Mappen für die
Groβ-Radierungen der heimischen Künstlerin Hermine
Ginzkey, die sich namentlich in Prag und Wien eines
bedeutenden Ansehens erfreute. Sie war das neunte von den zehn
Kindern Ignaz Ginzkeys.
Als Anton
Wondrak 1916 starb, wurde sein Betrieb von der zweitältesten
Tochter Gusti Wondrak weitergeführt. Sie erwarb nun das ganze
Haus, in dem bis jetzt ja nur die Werkstatt war, und waltete
darin mit Umsicht bis zur Vertreibung.
Ihr Bruder
Anton hatte sehr bald in Gablonz eine stattliche Buchbinderei
und eine Papiergroβhandlung eröffnet. Nach 1945 baute er
in Neugablonz eine neue Existenz auf, eine Kartonagenfabrik,
die seine Nachkommen, Sohn und Enkel, weiterführen.
Ebenso blieb
die älteste Tochter Amalie dem väterlichen Berufe treu. Sie
heiratete einen Gehilfen ihres Vaters, W. Gerolsky, der aus
dem Harz nach Maffersdorf gekommen war. Das junge Paar
gründete zu Chodau im Egerland ein Papiergeschäft mit
angeschlossener Buchbinderei. Dort stand Frau Gerolsky 49
Jahre ununterbrochen hinter dem Ladentisch, bis es auch für
diese Familie hieβ, alles stehen lassen. Ihr Sohn Walter
hatte bei Onkel Anton in Gablonz gelernt und arbeitete später
in dem Papierunternehmen Niedermeyer in Rosenheim.
Und selbst die
beiden anderen Schwestern konnten das Gewerbe der Familie
nicht ganz verleugnen: Hermine wurde Modistin und lebte
später in Dresden und in Essen, wo sie 1936 starb. Das
Nesthäkchen Fritzi war die bekannte und beliebte
Kindergärtnerin. Sie hatte es nach dem Krieg nach Schloβberg
bei Rosenheim verschlagen. Dort war sie offensichtlich auch
kunstgewerblich tätig, denn in der Schrift J. Preuβlers
heiβt es: ... Sie konnte die ererbte Begabung für ihre
Beschäftigung so ausnützen, daβ die Ausstellung ihrer
Arbeiten Aufsehen erregte, wobei die Worte fielen: "Das
Kleistern hat sie vom Vater gelernt, das kann sie !"
Und die
Schrift endet mit dem Satz: So ist der Blick auf Entwicklung
und Schicksal der Familie Wondrak ein Beweis dafür, wie ein
hervorstechendes Talent innerhalb ihrer Mitglieder nicht
untergeht, und zugleich ein Bild der Tüchtigkeit, des
Arbeitseifers und der Unternehmungsfreude, wie sie in unseren
Landsleuten leben.