Der katholische Volksbund

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Der katholische Volksbund

 

Nach Kriegen und Zeiten der Not kommt es sehr oft zu einer religiösen Erneuerung, die meistens von der Jugend getragen wird. So war es auch nach 1918. Maffersdorf hatte in Katechet Sommer dafür genau den richtigen Mann. 

Er war ein sehr bescheidener, liebenswürdiger, gebildeter und belesener Mensch. Schon als ganz junger Geistlicher sammelte und kaufte er Bücher und richtete zunächst in seiner Wohnung beim Günthel-Klempner eine kleine Pfarrbücherei ein, die groβen Anklang fand. Nach der Schulmesse am Sonntag konnte man zwischen 9 und 10 Uhr bei ihm Bücher ausleihen. Dadurch kam er mit vielen Leuten in Kontakt und ins Gespräch. Er kannte fast jeden. Er liebte die Natur und die Berge. Seinen Urlaub verbrachte er oft in Heilig Blut am Groβglockner. Er war der Jugend und ihren Problemen gegenüber sehr aufgeschlossen. Vielen hat er in kleinen und groβen Sorgen als väterlicher Freund im Leben geholfen. Der erste Weltkrieg war zu Ende. Der Kommunismus erstarkte immer mehr. Die Arbeitslosigkeiteit griff um sich, und nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches wurden die Deutschen von der tschechischen Regierung benachteiligt. In dieser Situation versuchte er, Orientierung und Hilfe durch die Katholische Kirche zu geben. So gründete er 1918 den Katholischen Volksbund, dem er 20 Jahre lang seine ganze Kraft und Begeisterung schenkte.

In diesem Kapitel stütze ich mich auf die Aussagen von Gustl Hauser, der von der ersten Stunde an dabei war, und auf die von Inge Hübner-Kahl und Josi Neumann, die sich um die Jüngsten gekümmert hatten.

Am 4.11.1918, dem Namenstage Karl Sommers, fand in der groβen Wohnstube der Familie Bulirsch die erste Zusammenkunft statt, es war die Gründungsversammlung des Volksbundes. Erst wurde tüchtig eingeheizt, dann der Koksofen hinausgetragen und anschlieβend richtig gefeiert. Die Zahl derer, die dem Volksbund beitraten, wurde schnell immer gröβer. Das Aufleben dieser kath. Bewegung brachte Katechet Sommer viele Feinde, wohl auch Neider, von seiten der kommunist. Arbeiterbewegung.

Was war nun der Volksbund in Maffersdorf?

Meine Antwort, nachdem ich mich nun des längeren damit beschäftigt habe, lautet: Ausgesprochen moderne Kirchenarbeit an der Basis, wie wir sie uns heute besser nicht denken und wünschen könnten. Urteilen Sie selbst !

Der Sommer-Pater, wie er liebevoll von den Maffersdorfern genannt wurde, baute eine vorbildliche Familien-, Jugend- und Kinderarbeit auf.

Er sammelte viele junge Männer um sich und lieβ sie musikalisch ausbilden. So entstand eine 30 - 40 Mann starke Kapelle, die er selbst dirigierte. Bald hatte der Volksbund auch einen eigenen Chor.

Jeden Monat war ein Abend (Donnerstag) mit Vorträgen und Lichtbildern für die Erwachsenen, meistens von kompetenten Laien gehalten. Es ging um allgemeinbildende, medizinische, politische und soziale Themen und Fragen, was nach 1918 sehr wichtig war. An den anderen Donnerstagen hatten einmal die Jungen und dann die Mädchen ihren Heimabend. Es gab auch eine Theatergruppe. Höhepunkte im Jahr waren die groβen Festversammlungen. zu Ostern, Peter und Paul und Weihnachten mit Konzert, Festrede und Theaterspiel, dann der berühmte Volksbundball im Fasching und jeden Sommer ein Ausflug der ganzen Volksbundfamilie mit alt und jung. Das alles war natürlich nur möglich, weil Katechet Sommer eine Schar uneigennütziger und opferbereiter Helfer hatte. Hier wären sicher zu nennen die Familien Müller, Thürl, Leipold, Skolaude, Stärz, Sedlaty, Möller, Elger und Mach, die Brüder Hauser, die Schwestern Stasny und Bulirsch, Gustl Appelt, Emmi Schwarzbach und Frau Hanausek. Tanz- und Theatereinstudierungen waren vor allem die Aufgabe von Mariechen Bulirsch, welche sie mit Können und groβer Begeisterung bewältigte. Einige Jahre stand ihr Herr Graf mit dem schönen Schnurrbart zur Seite.

 


Die "Altweibermühle" 1936

1924 erhielt der Volksbund seine schöne Fahne. Die Weihe war ein groβes Fest, bei dem auch die Familie Ginzkey aktiv und sicher auch finanziell beteiligt war. 


Weihe der neuen Volksbund Fahne 1934

 


Vorderseite der Maffersdorfer Volksbund Fahne

 


Rückseite der Maffersdorfer Volksbund Fahne

 

Stolz wurde die Fahne beim Katholikentag in Reichenberg mitgeführt. Franz Thürl war der Fahnenträger, Fritz Graf und Herbert Müller begleiteten als Fahnenjunker. Was aus der Fahne wohl geworden ist? Zehn Jahre später bekamen die Jungen- und Mädchengruppen ihre Wimpel. Sie waren sicher nicht weniger stolz darauf und nahmen sie zu allen gröβeren Jugendtreffen mit. Der Tag der Wimpelweihe wurde mit einem geselligen Nachmittag im groβen Saal der Schänke gefeiert, bei dem alle Gruppen auftraten.

Josi Neumann, damals Pädagogikstudent in Reichenberg, kümmerte sich um die Jungengruppe der katholischen Jugend, die sich "Kreuzfahrer" nannte und sehr wander- und fahrtenfreudig war. Sie traf sich an den Wochenenden zu Wanderungen und in Zeltlagern und lernte so die engere und weitere Heimat nicht nur von der landschaftlichen Schönheit, sondern auch in ihren geographischen und geschichtlichen Zusammenhängen kennen. Sie waren u.a. 1934 beim Wallensteinfest in Friedland und 1935 beim Katholikentag in Prag.

Die jungen Mädchen und Frauen waren in der marianischen Kongreation. Sie kamen im Waisenhaus zusammen. Ihr Hauptfest war am 15. August (Maria Himmelfahrt). Die Kongreation hatte auch eine Kindergruppe. Die Jüngsten von ihnen durften an den Maisonntagen während der Maiandacht in weiβen Kleidern im Altarraum sein, worauf sie natürlich sehr stolz waren.

1934 auf der "Nestwiese"
hinter dem Waisenhaus
"Nest"-Ausflug zum Mümmelfall
im Riesengebirge

 

Die Kleinen der Katholischen Jugend hatte Katechet Sommer im "Nest" zusammengefaβt. Oft trafen sich am Samstagnachmittag in der "Schänke" mehr als 50 Kinder zum Spielen und Singen, zum Vorlesen und Theaterspielen. Bei gutem Wetter kamen sie zur "Nestwiese" hinter dem Waisenhaus. Am Anfang leitete Frau Schicht, die Witwe des Schuldirektors, die Kindergruppen, dann Frl. Edith Trenkler, ab 1934 übernahm Inge Hübner / Kahl die Mädchen und Josi Neumann die Jungen.

 


Jugendbundtreffen

 


Volksbundausflug 1930

 


Volksbund Ausflug ins Riesengebirge 19.6.1932.

 


1932:  Rekrutenabschied in der Jugendgruppe

 


Weihnachtsspiel, einstudiert von Maria Bulirsch

 


Reigen, einstudiert von Maria Bulirsch

 

In den 30er Jahren gab eine liturgische Erneuerung der kirchlichen Jugendarbeit Aufschwung. Sie ging vom Kloster Neuburg aus und ermöglichte u.a. mit dem "Schott" dem Volk das Mitfeiern der Messe. Der Schott war ein Gebetbuch mit der deutschen Übersetzung der Meβtexte, zunächst für die Sonn- und Festtage, in der zweiten Ausgabe auch für die Werktage. Zeitgemäβere Meβgesänge traten neben die lateinischen Messen, und der alte Choralgesang wurde wieder entdeckt. Der Christkönigssonntag im Oktober wurde das Hauptfest der katholischen Jugend. All das Neue "wurde von den älteren geistlichen Herren nicht sofort akzeptiert. Diese Modernisierung ist nicht immer eine Freude für alle Gläubigen. Allzu sehr gebremst wurden wir aber von unseren Geistlichen nicht", schrieb Inge Kahl / Hübner.

Nun komme ich noch zum Thema Volksbundheim. Viele Jahre war die "Schänke" in der Nähe von Radl-Schwarzbach und dem Beutel / Hübner-Fleischer mit Saal und Nebenräumen Vereinslokal. Aber bald wurde der Platz überall zu eng. Ein eigenes Vereinsheim war der groβe Wunsch. So wurde zunächst die Wiese zwischen Waisenhaus und Pfarrkreuz erworben, die "Nestwiese" wurde sie bald geheiβen. Man konnte sie sommers und winters nutzen; am Walpurgisabend zum "Wolpern", wie bei uns das Schwenken der brennenden Besen genannt wurde. Bald wurden Pläne für das Vereinshaus gemacht. Um 1935 ergab es sich, daβ die Kommunisten ihr Arbeiterheim nach dem Neubau und der Modernisierung des alten Teiles verkauften. Die Pfarrei griff zu und lieβ den Bau eines neuen Hauses fallen. Das Arbeiterheim wurde zum "Goldenen Kreuz", und ein Traum Katechet Sommers war in Erfüllung gegangen. Er hatte nun nicht nur Platz für die groβe Pfarrbibliothek, sondern auch einen Saal mit Bühne, viele Nebenräume für die Gruppen und hinter dem Haus einen Sportplatz. Das Ehepaar Riha führte die Gastwirtschaft, und Geistlicher Rat Sommer, das war er inzwischen geworden, konnte in dem Haus auch wohnen. Aber der Traum währte nicht sehr lange, 1939 war er zu Ende. Nach dem Anschluβ des Sudetenlandes an das Deutsche Reich unter Hitler wurde alles beschlagnahmt und enteignet. Aus dem Volksbundheim wurde zwischen 1940 und 1944 ein Lager für Deutsche aus Bessarabien (Volksdeutsche Mittelstelle). Rat Sommer sah seine 20jährige Aufbauarbeit zerschlagen und erstickt und "unser lieber Katechet wurde ein gebrochener Mann", heiβt es in einem Brief. Er war ja inzwischen 64 Jahre alt geworden, und wer die Geschichte des Sudetenlandes von 1900 - 1940 kennt, der weiβ, mit welchen Schwierigkeiten er für seinen Volksbund zu kämpfen hatte. So etwas zährt an den Kräften. Er zog zu den Schwestern ins Marthaheim, und die Bücherei wurde, so gut es ging, im Pfarrhaus untergebracht. 1945 hieβ es dann alles aufgeben ! Aus diesem Blickwinkel bekommt der Satz aus seinem Brief von 1947 an die Freunde, "Ich fühle mich um 20 Jahre jünger", seine Bedeutung. Ein Priester schöpfte wieder Hoffnung.

Ich kann dieses Kapitel nicht besser abschlieβen als mit den Worten von Frau Inge Kahl / Hübner, die sicher sehr vielen aus der Seele spricht:

"Wenn man bedenkt, daβ Herr Katechet Sommer für seine segensreiche Arbeit ja kaum 20 Jahre Zeit hatte, denn 1938 war mit einem Schlag jede derartige Tätigkeit verboten worden, so hat er das religiöse Leben in Maffersdorf bestimmt deutlich vertieft und erfolgreich aufgebaut. Gerade wir jüngeren Menschen wurden geformt, nicht zu Frömmlern oder religiösen Träumern, nein zu Menschen, die sich freuten am Leben, an allem Schönen und auch an unserem Glauben. Dieser gab uns besonders in den folgenden schweren Jahren Halt und Zuversicht, da wir uns in der Güte Gottes geborgen wuβten ebenso wie in der Gemeinschaft der Freunde, die gleichgesinnt in Gedanken Brücken bauten, damit sich keiner verlassen fühlen muβte, wenn es einmal besonders schwer wurde." Ich möchte natürlich den 20 Jahren Volksbundarbeit auch seine Lehrtätigkeit in der Schule zur Seite stellen. Da hat er sicher wie ein guter Gärtner fruchtbaren Boden bereitet.


Das goldene Kreuz, vorher Arbeiterheim, gehörte der Pfarrei
und war "Heimat" des Katholischen Volksbundes
mit seinem unvergessenen Leiter Katechet Pater Karl Sommer,
bis es die Nationalsozialisten enteigneten und zum "Braunen Haus" machten.

 


Gasthof "Goldenes Kreuz" Maffersdorf.
Der große Saal wurde zuerst gebaut

 

 

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MAFFERSDORF - Marktgemeinde im Landkreis Reichenberg - SUDETENLAND