Der Müller Peukert und das große Sterben

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DER MÜLLER PEUKERT
(gestorben 1772)

Weib, ich hab mir heut den Tod geholt
(nach A. Jäger)

 

Teuerung, Hungersnot und Seuchen, das sind drei Übel, die auch Maffersdorf immer wieder heimsuchten und der Menschen Schicksal bestimmten. Ich möchte hier einige Beispiele aus der Vergangenheit unseres Ortes aus der Jäger'schen Ortschronik aufführen, weil wir uns in unserer heutigen Zeit mit all den sozialen Absicherungen kaum noch ein Bild von den Lebensbedingungen damals machen können.

Das Jahr 1770 war für Deutschland, ja für das ganze südliche Europa eine Zeit des Jammerns und Wehklagens. Die regnerische Witterung des Sommers hatte beinahe alle Früchte des Feldes verdorben, viele wurden gar nicht reif und blieben ungeerntet. Das Heu war ausgebleicht, das Obst wenig und wässerig, die Kartoffeln waren seinerzeit noch wenig bekannt. Von Mai bis September hatte es an 91 Tagen geregnet. Der Winter 1770/71 brachte wieder so abnorme Witterung, daβ man glauben wollte, die Erdfeste sei aus ihrer Lage verrückt worden. Um den Neujahrstag war noch kein Schnee und so milde Witterung, daβ die Leute von hier barfuβ nach Haindorf gingen. Erst im März kamen Schnee und grimmige Kälte, welche bis Ende April anhielt und die Wintersaat fast ganz zugrunde richtete. Das trieb die Lebensmittelpreise in unerschwingliche Höhe. Für den Preis von 1 Zentner Korn muβte ein Tagelöhner 120 Tage arbeiten. Arbeit aber war nirgends zu erfragen; jeder muβte das wenige, was er an Lebensmitteln besaβ, sehr sparsam einteilen. Wer alles aufgezehrt hatte und nichts erwerben konnte, muβte zum Bettelstabe greifen und dabei bittren Hunger leiden. Die Bettler liefen scharenweis, in einem Hause in Maffersdorf zählte man deren an einem Tag 800! Manche verlieβen Haus und Hof auf Nimmerwiederkehr. Ein Mann im Gebirge gab seine Wirtschaft für ein Brot und einen halben Zentner Hafer.

Durch Mangel und schlechte Nahrungsmittel entstand Ende 1771 ein bösartiges, wie die Pest wütendes Faulfieber. Im Maffersdorfer Kirchsprengel, wo sonst in einem Jahre etwa 60 Menschen starben, zählte man vom 1. Januar bis 31. August 1772 358 Sterbefälle, im Monat Mai allein 81. Am 20. Mai starb auch Augustin Huber, der erste Pfarrer von Maffersdorf.

Wenn in einem Hause die pestartige Seuche einkehrte, wurden gewöhnlich nach und nach alle Personen davon ergriffen, und da ein solches Haus aus Furcht vor Ansteckung gemieden wurde, so waren die Kranken ohne Pflege sich selbst überlassen. Barmherzige Nachbarn stellten wohl ab und zu Nahrungsmittel vors Haus. Im Bauernhause Nr. 36 in Proschwitz lag die Bäuerin darnieder. Der Müller Peukert, ein besonders starker und unerschrockener Mann, hatte an den Bauer Prade eine Zahlung für Getreide abzuführen. Da er sich in die Krankenstube zu gehen scheute, lieβ er den Bauer herausrufen und zählte ihm auf einer Tonne im Hofe das Geld auf. Da gewahrte die Kranke den befreundeten Nachbarn, riβ in Fieberhast das Fenster auf, schaute mit von der Krankheit zerstörtem Antlitze heraus und rief ihm mit der Stimme einer Wahnwitzigen an: "He, Gevatter, kommt Ihr denn heute nicht herein?" - Da entsetzte sich der sonst so mutvolle Mann dermaβen, daβ er alsogleich Fieberschauer in den Adern spürte. Mit innerlichem Grausen verlieβ er den Hof und ging nach Hause. Hier war sein erstes Wort an seine Frau: "Weib, heute hab ich mir den Tod geholt." Ungläubig erwiderte ihm die Käthe: "Das wird wohl nicht sein, der Tod wird sich wohl vor Euch fürchten." Aber Peukert hatte recht gehabt, nach wenigen Tagen lag er als Leiche und wurde zugleich mit der Pradin begraben.

Die Toten wurden in einem Massengrab auf dem Kirchhofe beerdigt. Viele sind begraben worden, ohne daβ man ihren Namen wuβte; es wurde einfach "ein Mensch" in die Sterbematrik eingetragen. Viele Häuser waren durch jene Krankheit ganz ausgestorben und standen leer; im kleinen Neuwald allein unter 20 Häusern 4; nämlich die Häuser Nr. 9, 23, 34 und 35. Noch mehrere waren von den Bewohnern verlassen worden; darunter Nr. 8 und 26, deren Eigentümer mit den Angehörigen nach Schlesien gingen und nicht wiederkehrten. In manchen Häusern waren die Eltern gestorben, und die Kinder hatten sich in die Welt zerstreut.

Wenn nach dieser Zeit unsere Dorfbewohner zur Kirche kamen, da sahen sie mit wehmutvollem Schauer beinahe die Hälfte der Plätze leer bleiben. Eine Folge dieser Hungersnot war es, daβ von nun an in hiesiger Gegend die Kartoffeln fleiβiger angebaut wurden als allgemeines Nahrungsmittel für die Menschen.

Solche Notzeiten wie 1771/72 kamen auch noch um 1816/17 über Maffersdorf, 1832 und 1850 hatten sie Cholera und Hungertyphus im Gefolge.

Zusammenstellung
der durch Nahrungsmangel und epidemische Krankheiten in
den Gemeinden des Maffersdorfer Kirchsprengels verur-
sachten Sterbefälle der Not- und Krankheitsjahre dieses
Jahrhunderts.

 

Jäger machte sich natürlich auch Gedanken darüber, warum Notzeiten so verheerende Wirkungen haben konnten, und kam u.a. zu dem Schluβ: "Es gibt immer noch Leute, die nicht einsehen wollen, von wie groβem Nutzen gute Straβen und Eisenbahnen sind. Auf den alten morastigen Fahrwegen war im Getreideverkehr die Ladung für ein Paar Pferde 12 Zentner Last. Dabei wurde bei schlechter Witterung das Zugvieh oft so geplagt, daβ es vor Erschöpfung tot liegen blieb. Auf den Kunststraβen kann der Fuhrmann eine fünfmal so groβe Last mit gleicher Bespannung ohne Tierquälerei fortbringen. Wie sich aber gute Kunststraβen zu den alten, unebenen, grundlosen Wegen verhalten, so wiederum die Eisenbahnen zu den Kunststraβen.

Es kann sich jeder leicht ausrechnen, wie durch die Verbesserung der Kommunikationsmittel in Zeiten des Mangels die Herbeischaffung fremder Vorräte - abgesehen von der Menge und Schnelligkeit des Transportes - um das 7 - 50fache erleichtert wird." Jäger bringt auch ein Beispiel: "Unter den schlechten Wegen hiesiger Gegend war der alte Fahrweg über den Saskaler Berg besonders berüchtigt. Und manchen Leuten ist es noch eingedenk, wieviel Pferde daselbst unter grausamen Streichen elendig verendend liegen blieben, dem Abdecker zur Beute. - Eine Frachtfuhre von Liebenau über den Saskaler Berg, auf eine Entfernung von kaum einer Stunde, hat da zur Winterszeit bei heftigen Schneestürmen zuweilen drei Tage gedauert."

Interessant ist vielleicht auch noch die Verordnung, die den Richtern oder Scholzen für den Fall einer Seuche von der Grundherrschaft gegeben war. Ich zitiere hier aus den "Vorschriften für Richter und Geschworene des Gutes Siebendörfel (Herrschaft Böhm.-Aicha) vom Jahre 1662", die in dem ältesten Schöppenbuche von Maffersdorf l.N. verzeichnet sind. Dort hat sie A. Appelt aufgestöbert. Der Artikel 29 besagt: "Da aus Verhängnis Gottes die Infektion der Pest einrisse, sollen Richter und Geschworene Aufsicht haben, daβ man die Kranken mit christlicher Handreichung nicht verlasse, aber das offene Zusammengehen keineswegs gestatte. Die Abgestorbenen in dieser Seuche sollen durch verordnete Personen zur Nacht auf dem Kirchhof begraben werden

Artikel 30: Absonderlich aber soll Achtung gegeben werden, daβ, sobald jemand aus einem Hause durch solche Infektion abstürbe, die übrigen alsbald heraus in eine abgelegene Hütten salvieret und mit Unterhalt versorgt würden, das Haus aber soll in allen Fenstern, Türen und Laden versperrt und versiegelt, auch eher nicht, als mit Bewilligung der Obrigkeit geöffnet werden.

 


 

Die beiden alten Schriftstücke aus jener längst vergangenen Zeit bekam ich von Frau Prof. Elisabeth Decht-Löw. Sie schrieb mir folgenden Brief dazu:

„Nachdem Sie sich ja mit der Geschichte von Maffersdorf beschäfti­gen, möchte ich Ihnen zwei kleine Andenken aus der Gemeindekanzlei von Maffersdorf aus dem Jahre 1649 schicken. Wie ich zu diesen Zetteln kam, ist bald erzählt. Mein Vater, allgemein als Löw-Portier bekannt, war um 1900 Gemeindegendarm in Maffersdorf. Bei einem Umbau oder einer Renovierung der Kanzlei wurde auch in den alten Akten Ordnung ge­macht und vieles verbrannt. Mein Vater hat diese beiden Zettel an sich genommen, weil ihm die Schrift gefiel. Er hat sie immer in der Briefta­sche bei sich getragen. Als ich schon in die Musikschule ging und mich für alte Notenschriften interessierte, hat mir Papa diese Zettel ge­schenkt. Ich habe diese alten Schriftstücke immer sehr ehrfurchtsvoll betrachtet und weiß nur soviel, daß es sich um durchziehende Soldaten gehandelt haben muß.”

Als Gedächtnisstütze: 1648 war der 30jährige Krieg zu Ende.

 

Ich konnte die Schriftstücke mit Hilfe eines Angestellten im Stadtarchiv fast ganz entziffern, und dabei kam folgendes heraus:

Dok. S.9 

Am 7. April 1649 kamen 10 friedländisch und gräfensteinische Musketier durch (Reichenberg? Maffersdorf?) auf dem Weg nach Prag. Sie erhielten ein weniges an Servicia (?) und Sauerkraut zum Kochen, Salz, Lichter. Dafür wie auch um der Bemühung halber die ganze Nacht über wird begehrt in allem 30 Kreuzer.

eigenhändige Unterschrift von David Ulrich

 

Dok. S.8 

Am 9. April 1649 bittet der eigenhändig (manu propria) unterzeichnete Mathes Güntzel den Herrn Gevatter Mathes Schöpfer, Stadtrichter allhier, er möge so gut sein und Hans Königen für gegebene Victualien ... bezahlen.

Erstlich 9 Eimer Butter jeden 1 Gulden 15 Kreuzer =    11G  15Kr
dazu für die durchmarschierten Soldaten
6 Pfund Butter zu 9 Kreuzer das Pfund - - - - = 54Kr
dazu 30 1/2 Pfund Käse zu 6 Kreuzer das Pfund - = 3G    3Kr
dazu 9 Heringe zu 2 Kreuzer das Pfund - - - - =  18Kr
—————
15G 30Kr
Und wills Gott, solle er ihm bei (?) Zusammenkunft die ordentliche 
Spezifikation (Einzelaufzählung) einbringen.

 

Das Dokument hat 2 Zusätze. Der erste ist noch am 9. April geschrieben worden und lautet: Den 9. April hierauf gezahlt mit den Anlagen und Bargeld 8 Gulden. Am 12. April wird angefügt: den 12. April hab ich dem Juden Isaac von Münchgrätz uff diesen Zettel 5 Reichstaler gegeben Uff Befehl Herrn Bürgermeisters. 2 Gulden 30 Kreuzer

Ich füge noch an, daß damals die Juden solche Furagezettel gerne aufkauften, um ein Geringeres als der Schuldbetrag. Die Stadt hatte dann in etwa ihre Ausgaben, trieb der Jude die Schulden ein, hatte er den Provit oder andernfalls das Nachsehen.

 

 

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MAFFERSDORF - Marktgemeinde im Landkreis Reichenberg - SUDETENLAND