A.
STUMPFE - A. LORENZ - I. HOYER
(Gemeindevorsteher
um 1866)
Die
kleinen Leute zwischen den Kriegsfronten
nach A.
Jahnel
Soldaten sind
im Laufe der Jahrhunderte viele durch das Tal der Nei βe
gezogen, hin und her, und sie haben ihre Spuren hinterlassen.
Immer sind es die kleinen Leute, die die Händel und Kämpfe
der Mächtigen auf ihrem Rücken austragen müssen. Ich
möchte hier einen Krieg streifen, der für unsere Heimat auch
politisch von Bedeutung war. In der Schlacht bei Königgrätz
am 3.7.1866 entschied sich der Machtkampf zwischen Preuβen
und Österreich zu Gunsten Preuβens. Die Folge war, daβ
Österreich nicht dem späteren Deutschen Reich angehörte und
die österreich-ungarische Doppelmonarchie entstand. E.
Franzel schreibt: "Erst auf dem Schlachtfeld von
Königgrätz ging die mehr als tausendjährige Geschichte des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu Ende. Damit
zerriβ das Band, das - mit einer kurzen Unterbrechung von
1806 bis 1815 - Böhmen
mit dem Reich verbunden hatte. Die Deutschen Österreichs
waren nunmehr auf sich selbst gestellt."
Ein
Reichenberger, A. Jahnel, hat 1867 nach Augenzeugenberichten
eine Chronik der Preu βischen
Invasion von 1866 geschrieben. Er schreibt im Vorwort:
"...ich bescheide mich mit dem Bewuβtsein, die
schweren Drangsale, die an uns vorübergegangen,
nach bestem Wissen verzeichnet, in meiner Darstellung dem
Rechte Österreichs nichts vergeben, der Wahrheit auch dem
Feinde gegenüber Rechnung getragen zu haben." Ich will
nun einiges aus dem Kapitel "Beide Maffersdorf,
Proschwitz und Neuwald" wiedergeben. Ich habe als
Überschrift die Namen der Gemeindevorsteher gewählt, weil
diese Tage für sie sowohl als Amts-, als auch als
Privatpersonen sicher sehr schwer waren. Ihre Namen stehen
für alle, die in Kriegszeiten Entscheidungen zu fällen
haben, dabei oft namenlos gelitten, aber auch Menschlichkeit
gezeigt haben.
Der Augenzeuge
aus Maffersdorf und Proschwitz berichtet:
Am Morgen des
24. Juni, einem Sonntag, war es in unserem Tale ganz ruhig,
und wir glaubten deshalb, da β
der Feind zurückgeworfen sei. Doch gegen 11 Uhr rückte
derselbe auf der Reichenberg=Gablonzer Hauptstraβe in
starken Kolonnen und mit eilfertiger Schnelligkeit auch bei
uns ein. Voraus ritt ein einzelner Husar, vorsichtig lugend,
das Schieβgewehr mit gespanntem Hahne bereithaltend. Ihm
folgte in einiger Entfernung ein kleiner Trupp Reiter, dann
Infanterie in dichten Kolonnen, Artillerie, Train u.s.w. Wie
ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde. "Sie sind schon
beim Badeteiche, beim Wacheberge, bei der Maffersdorfer
Kirche", schrieen die immer hastiger Vorübereilenden und
die Nachfolgenden bestätigten es. Viele junge Leute suchten
das Weite, um nicht von den Preuβen annektiert zu werden.
Was tun wir denn? Packen wir unsere Sachen ein? Ob ich nur die
Kühe fortschaffe? Werden sie uns nicht die Pferde nehmen? Von
der Mittagszeit, um welche die Preuβen im oberen Dorf
anlangten, währte der Marsch noch 2 1/2 Stunden fort.
Fröhlich deutsche Lieder singend, zogen sie vorwärts. In
Proschwitz stockte der Zug, 200 Schritte vor der Schmidt'schen
Fabrik wurde Halt kommandiert. Was hatte Verwirrung gestiftet?
Im Garten der Fabrik befand sich auf einem Gartenhäuschen
eine Fahne mit den deutschen Farben. Den Anblick dieser Fahne
konnte der kommandierende General nicht ertragen. Fahne
runter! Fahne runter! schrie er gegen die Fabrik, und Fahne
runter! schrie die ganze Mannschaft nach. Nach Entfernung
dieser Fahne wurde die Fabrik umzingelt, und da nichts
Verdächtiges entdeckt wurde, vom ganzen Regimente Halt
gemacht. Der Werkführer Josef Kratzert muβte eine
Erfrischung reichen und so viel Brot, Butter und Schnaps
hergeben, als in der Fabrik vorhanden war. Nach einer Stunde
brach das Regiment wieder auf. Am Nachmittag traf man
Anstalten Quartier zu machen. Darüber ertönte aber das
Alarmsignal, und in wenigen Minuten waren die Bataillone
wieder formiert. Adjutanten sprengten her und hin, die
Soldaten meinten, es würde alsbald von den Höhen das
österreichische Militär über sie hereinbrechen. Die Ursache
des Alarms war ein Gefecht bei Langenbruck gewesen, ein für
unser Tal sehr kritischer Augenblick. Die Fabriken und gröβeren,
zur Verteidigung gut gelegenen Häuser wurden stark besetzt,
die Fenster aufgerissen und bald starrten aus jedem derselben
die Mündungen von Zündnadelgewehren. Für uns war's ein
Glück, daβ es zu keinem Kampfe kam und die Soldaten nach
einiger Zeit ruhig in die Quartiere gingen. In den beiden
Maffersdorf und Proschwitz dürften etwa 7000 Mann
einquartiert gewesen sein, in kleinen Häusern waren
wenigstens 10 Mann, in gröβeren 30 - 100, in Fabriken
ganze Kompanien. Selbst das Pfarrhaus wurde nicht ausgelassen.
Pfarrer P. Johann Wähner muβte vom 24.-26. Juni 3
Offiziere, 11 Gemeine und 20 Pferde aufnehmen und
verköstigen. In Maffersdorf hatten die stärkste
Einquartierung Ignaz Hauser, Ignaz Ginzkey, Ignaz Appelt,
Franz Möller, Franz Staatz, Josef Linke und Franz Gürtler.
In einem Kornfelde des Gemeindevorstehers Augustin Stumpfe
(Maffersdorf r.N.) stand der aus 300 Fuhren bestehende
Wagenpark einer Proviantkolonne, und zur Herrichtung eines
Zeltes wurden 30 schöne, junge Alleebäume gefällt. Die
Einquartierung des ersten Tages waren Magdeburger Sachsen, am
zweiten Tag kamen Berliner und Brandenburger und am dritten
Tag noch 220 Ulanen von der königlichen Stabswache. In der
Neuwalder Fabrik von Alois Herzig lagerte der Generalstab mit
dem Generalleutnant von Fransecky und dem Prinzen Anton von
Hohenzollern. Die Verpflegung der Offiziere wurde nur dadurch
ermöglicht, daβ die Lebensmittel durch Boten aus Gablonz
herbeigeschafft wurden. Das Benehmen der Soldaten war im
allgemeinen zufriedenstellend, schreibt der Chronist . Aber
man kann sich vorstellen, was es heiβt, so viele Menschen
zu versorgen, wenn die Vorräte nur für die einheimische
Bevölkerung berechnet waren. Es trat bald Mangel ein, und so
wurde wohl auch mit Gewalt geholt, was man zu brauchen
glaubte. Das geschah besonders dort, wo man die Türen
verschloβ. Es sind aber auch Beispiele vorgekommen, daβ
die Soldaten durch das Jammern der Eigentümer bewogen wurden,
die schon aus dem Stall geführte Kuh wieder hineinzuführen,
oder auch, daβ sie in Häusern, wo sie nichts als Armut
und Not fanden, selber an die hungrigen Kinder Brot
verteilten. Mir schrieb Frau Quaiser (Wiesbaden, früher
Proschwitz) in einem Brief: "In unserer Nähe wohnte eine
alte Frau, die mir einmal erzählte, daβ, als die Preuβen
1866 durchs Dorf zogen, die Mutter zu ihr gesagt habe: 'Madl,
hal de Schorze uf, de Preuβn kumm!' und die Soldaten
warfen dem Mädchen Brot in die Schürze." (So waren
damals die Feinde!! - Frau Quaisers Kommentar dazu) Das
Treiben der Soldaten an diesen Tagen wird uns unvergeβlich
bleiben, läβt uns der Erzähler aus Proschwitz in der
alten Chronik wissen. Bier und Branntwein wurde in groβen
Waschwannen und Fässern an die einzelnen Kompanieen verteilt,
von der Ferne hergebrachte Kühe und Ochsen wurden im Freien
geschlachtet, zerstückt und auf Schubkarren viertelweise
verführt; gesungen, geschrieen wurde, es war eine Wirtschaft
zum Rasendwerden. Auch von unserer Gemeinde wurde abermals
eine Kuh verlangt. Zur Ehre für unseren wackeren Vorsteher
Ignaz Hoyer sei erwähnt, daβ er, um keinem der Bürger
nahe treten zu müssen, von seinen eigenen Kühen eine hergab.
Überhaupt hatten unsere Ortsvorsteher einen schweren Stand.
Die meisten Pferde des Dorfes waren vor dem Anmarsche der Preuβen
in Sicherheit gebracht worden, und nun sollten eine Menge
Vorgespanne bereitgestellt werden. Den Offizieren war es
verraten worden, daβ sich die Proschwitzer Pferde in
Friedstein befanden. Dem Vorsteher wurde mit Erschieβen
gedroht, wenn die Pferde nicht binnen 2 Stunden zurück
wären. Zwei Mann mit geladenen Gewehren begleiteten den
Bürgermeister auf Schritt und Tritt. Ein gezogener Säbel war
es, der den Maffersdorfer Gemeindevorsteher Augustin Lorenz
bedrohte, als er, da in Maffersdorf l.N. keine Pferde mehr
aufzutreiben waren, in den Nachbargemeinden um einen Vorspann
förmlich hausieren muβte. An Episoden hat es auch nicht
gefehlt:
Anton Paul aus
Maffersdorf l.N. wagte sich aus Neugierde am 24.6. zu weit
gegen die bereits bis Kohlstatt vorgeschobenen Vorposten vor,
er wurde als Spion aufgegriffen und in das Gasthaus "Zur
Linde" (Nr.515) zu einem Hauptmanne geführt, der ihn,
falls ein Überfall erfolge, erschie βen
zu lassen drohte. Am anderen Tage wurde er jedoch
freigelassen. - Am 25.6. wurde preuβische Platzmusik
gehalten. Man erwartete zahlreiches Auditorium. Doch welche
Täuschung! Es fehlte selbst an der obligaten Dorfjugend. - Am
gleichen Tag wurde in Proschwitz ein Leierkastenmann aus der
Umgebung aufgegriffen. Da derselbe schwerhörig war, kam nicht
auf jede Frage die passende Antwort, und man hielt ihn am Ende
für einen Spion. Als man jedoch des Gegenteils inne wurde,
nahm einer der Soldaten die Drehorgel auf den Rücken, ein
zweiter setzte die Kurbel in Bewegung, der joviale
Leierkastenmann tanzte auf der Straβe herum, und so ging
es fort die Straβe entlang, so daβ sich die Menge
lawinenartig vergröβerte. Ein dritter Soldat sammelte
das Geld ein, Gemeine und Offiziere trugen ihr Schärflein
bei, so daβ die Ledertasche des lustigen Leiermannes in
ihrem Leben wohl nie so gefüllt war, wie diesmal. - Groβe
Bestürzung erregte die Nachricht, daβ etwa 40 Soldaten
ein Mädchen
in ein Stück Korn geschleppt hätten, um dort ihre Lüste zu
befriedigen. Hauptmann Kühne eilte sogleich dorthin und
störte das unsittliche Treiben. Die Bestürzung der Einwohner
schwand jedoch, als das fragliche Mädchen sich als eine
bekannte feile Dirne aus einem Nachbarorte erwies, welche eine
Stunde vorher von einigen Offizieren aus einem hiesigen
Gasthause hinausgejagt worden war.
Es lag wohl an
dem engen Nei βetal,
daβ es hier zu keinen Kampfhandlungen kam. Doch es war
Krieg, und es gab Tote zu beklagen und Verwundete zu
versorgen. So sind auch Akte der Wohltätigkeit an Verwundeten
in Maffersdorf zu verzeichnen. Wiederholt wurden
österreichische Verwundete aus Reichenberg eingeladen und
gastfreundlich bewirtet. Die Herren Ginzkey und Gürtler
spendeten hiezu Geldbeträge, mehrere Frauen aus Maffersdorf
schenkten den Verwundeten Verbandsstücke und Wäsche. An
ihrer Bewirtung beteiligten sich auch die Geistlichkeit, der
Veteranenverein, der k.k. Postexpeditor in Maffersdorf Ignaz
Bergmann, Josef Kratzert, Werkführer in Proschwitz, und
Johann Gärtner, Werkmeister in Maffersdorf. Herr Karl
Skolaude bot den österreichischen Verwundeten unentgeltlich
die notwendigen Bäder (Siehe "Maffersdorf-Gewerbe und
Industrie" Teil 2 Seite 11). Der Herr Kooperator P.
Schwertner stellte zur bequemeren Rückfahrt 2 Wagen zur
Verfügung. Frau Julie Ginzkey spendete 62 Ellen Teppiche für
die Verwundeten in das Reichenberger Stephans-Hospital. Sie
war es auch, die den österreichischen Jäger Johann Odchazel
aus Sichrow, der verwundet in preuβische Gefangenschaft
geraten war und auf der Flucht durch Maffersdorf kam, erste
Hilfe leistete. Die Kugel steckte noch in seinem
Arm, der deshalb entzündet und vereitert war. Reinigung und
ein frischer Verband brachten Linderung. Da die Weiterreise zu
gefährlich war, behielt ihn Postexpeditor Bergmann über
Nacht. Am anderen Tag machte sich Odchazel auf den Weg in
seine Heimat, doch geriet er in Liebenau erneut in
Gefangenschaft.
Die
Gemeinden Maffersdorf und Proschwitz konnten sicherlich von
Glück sagen, daβ
sie von den Kämpfen verschont blieben. Trotzdem war der
Schaden nach den wenigen Tagen des Ein= und Rückmarsches sehr
groβ. Für die beiden Maffersdorf hatte die
Kriegsschadenskommission einen Schaden von 9.881 Gulden
errechnet (z. Vergl. Dörfel 12.916 Gulden). Ob er ersetzt
wurde? Die Getreideernte war teilweise vernichtet, Tiere
fehlten im Stall, Häuser und Inventar hatte Schaden genommen,
die Geschäfte waren geplündert, die Vorräte aufgezehrt.
Unter den Meistgeschädigten sind neben den Fabrikanten die
Gemeindevorsteher genannt. Sie haben sich um die
Aufrechterhaltung der Ordnung in den drei Gemeinden sehr
verdient gemacht, heiβt es am Schluβ des Berichtes.
Man kann sich leicht ausmalen, wie es im umgekehrten Fall am
Ende ausgesehen hätte.
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