Ignaz Wagner - ein lachender Philosoph

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IGNAZ WAGNER
(um 1820)

Ein lachender Philosoph
Autor unbek. -  A. Jäger möglich

 

Der Bleicher Ignaz Wagner lebte in Neuwald Nr.44 und gehörte zur Schule der lachenden Philosophen, doch lachte er nicht so gern auf Kosten anderer, nicht aus Schadenfreude über den Verdruβ Betrogener, nicht über geleimte Gimpel, sondern viel lieber über harmlose Neckereien und Späβe, welche alle Beteiligten in heitere Stimmung versetzten, niemandem aber Nachteil und Miβmut verursachten. Auch war sein Lachen mehr innerlich, denn er hielt seinen guten Humor hinter ernster Mine versteckt, was indessen nur dazu beitragen konnte, die Wirkung desselben zu erhöhen.

Das Wohnhaus Wagners ist sehr idyllisch auf einer Neiβewiese unfern einer Mühle gelegen. Am Hause vorbei windet sich die Neiβe in mehreren Krümmungen durch die Wiesenflur dahin, und da die beiderseitigen Ufer mit hohen Erlen dicht bestanden sind, so hat es ganz das Ansehen, als stände dieses Haus vor einem prachtvollen Haine, welcher im Halbkreis seine Arme darum ausbreitet. Vor dem Hause liegt ein kleiner Garten mit mehreren schön verzierten Bienenstöcken, und dieser ist von einer Menge Obstbäume umstanden. Der Anblick dieser unvergleichlich gelegenen Wohnung hat einen in dessen Nähe wohnenden Naturfreund hundertmal mit stillem Entzücken erfüllt. (War das vielleicht A. Jäger? Anm. d. Red.)

Die Erlen an der Neiβe sind zur Sommerszeit ein Lieblingsaufenthalt des Spottvogels, und dieser ergötzt die Talbewohner im Frühlinge mit seinem lieblichen Gesange, welcher etwa zwei Monate hindurch Tag für Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit erstaunlicher Stärke und Ausdauer aus der kleinen Kehle hervortönt. Ein Spottvogelpaar hatte regelmäβig alle Jahre sein Nest auf einer Weide ganz in der Nähe der Bleicherwohnung. Der Bleicher Wagner war durch langes Zusammenleben mit dem nachbarlichen geflügelten Paare so vertraut geworden, daβ er sich rühmte, die Sprache desselben zu verstehen. Zuweilen gab Wagner zur groβen Belustigung seiner Zuhörer in seiner Umgangssprache eine Übersetzung vom Gesang des Spottvogelmännchens, und so kam es heraus, daβ der Vogel alle Persönlichkeiten der ganzen Nachbarschaft samt ihren Eigentümlichkeiten und Fehlern kannte und in seinen Spottliedern gehörig durchlieβ. Zuweilen geschah es auch, daβ der lose Vogel Vorübergehende oder in der Nähe des Nistplatzes beschäftigte Personen weidlich neckte und verspottete.

So ging es etwa dem Bleichknechte Friedel, wenn derselbe in der Sonnenhitze aus der Neiβe Wasser zutrug, um damit die ausgebreitete Leinwand zu begieβen. Der Vogel rief:

'ch setz' of dr Wejde!
'ch setz' of dr Wejde!
'ch setze gor huch. 'ch setze gor huch. 'ch setze gor huch!
Friedl giss ock! Friedl giss ock! Friedl giss ock!
(schnell)   Treffst mich ne. Treffst mich ne. Treffst mich ne.

 

Ein andermal schwatzte der mutwillige Vogel dem nahen Schänker und Fleischer vor:

Schötzens Seffl! Schötzens Seffl! Schötzens Seffl!
Hot wing Gäste, hot wing Gäste.
Worum? Worum? Worum? Worum?
Weβt's ja! Weβt's ja! Weβt's ja!
(schnell)   Weil a's Bier tejft. Weil a's Bier tejft. Weil a's Bier tejft.   

 

In der nahen Mühle ging Wagner als Hausfreund ein und aus, denn er, der Müller und der Bäcker Kolbe waren alte Jugendfreunde, welche, weil mit den Jahren die Zahl derselben im Orte immer kleiner wurde, sich desto fester zusammenschlossen und sich untereinander gern über längst vergangene Tage unterhielten. Diese drei hatten aus ihrer Jugendzeit das Beste ins Alter mitgenommen, nämlich ein heiteres Gemüt. Der Müller hatte damals einen Lehrjungen aus Friedrichswald, Franzl Müller, welcher im Sinne der Bibel zwar einfältig wie die Tauben, aber dabei nicht klug wie die Schlangen war. Als schmutziger, zerlumpter Bettelbube war er in die Mühle gekommen, alldort aufgenommen, gesäubert und gekleidet worden, und er vergalt die Wohltaten seiner Meistersleute durch Fleiβ und Treue, denn Einfalt und Ehrlichkeit werden eben so oft in einem Menschen beisammen gefunden, wie (falsche) Klugheit und Treulosigkeit. Trotz der geringen Pfunde, mit welchen ihn die Natur bedacht hatte, hat Franzl sein Fortkommen in der Welt besser gefunden als manches in den Wind geschlagene Talent, denn: Ehrlich währt am längsten!

Wagner führte in der Mühle zuweilen zur Unterhaltung magische Kunststücke und Taschenspielerkünste auf, welche den Franzl dergestalt in Erstaunen versetzten, daβ er glaubte, dabei könne es nicht mit rechten Dingen zugehen und dieser Künstler müsse notwendig ein Schwarzkünstler sein. In diesem Glauben wurde er besonders durch den Bäcker Kolbe eifrigst bestärkt. Vertraulich ermahnte er den Lehrjungen, dem tückischen Bleicher nicht zu trauen und denselben ja nicht ins Mahlhaus einzulassen, am allerwenigsten aber, wenn sein eigenes Korn auf der Mühle sei, denn er sei imstande zu bewirken, daβ anstatt des Schrotes grauslige Ratzen vom Mühlbeutel ausgespien würden, welche den Müllerburschen mit Haut und Haaren auffressen könnten. Wenn auch dieses Schreckliche nicht in Erfüllung gehen sollte, so würde er doch nicht unterlassen, anderes Unheil zu stiften und seine schwarze Kunst am weiβen Mahlgut in Ausübung zu bringen. Franzl hatte daher stets ein wachsames Auge auf den gefährlichen Mann. Aber einmal, als gerade Kolbes Korn aufgeschüttet war, wuβte dieser doch zur Mahlhaustür hineinzuschlüpfen und hatte auch dort gleich seine Hand im Spiele; er langte nämlich damit in den Beutelkasten, machte einige verdächtige Handbewegungen und schlich sich dann wieder aus dem Mahlhause hinaus. Deswegen lebte unser Lehrjunge durch einige Tage in groβen Sorgen. Schon hoffte er, der Vorfall werde keine nachteiligen Folgen haben, als Kolbe unverhofft mit einem Gegenstand unter dem Arm, starken Schrittes auf die Mühle zugelaufen kam. Dieser Gegenstand war ein knorriges Gewächs, welches er beim Zerkleinern seines Backholzes an einer Fichtenwurzel gefunden und von dieser behutsam abgelöst hatte. Dieses Gewächs sah einem kleinen Brote täuschend ähnlich, und für ein solches gab es auch Kolbe in der Mühle aus. Mit zorniger Miene wies er dasselbe dem Lehrjungen vor und schlug ihn mit folgenden Knüttelversen, die er in aller Eile gedrechselt hatte:

Unglücklicher Bube, was hast du getan?
Was hast du zugelassen?
Schau dir nur dieses Brot hier an,
hart über alle Ma
βen!
Ach jerum, meine Not!
Sieh, lauter solches Brot,
solch unverdaulich Brot wie dies.
So schneide doch davon und iβ!
Das hat der böse Feind getan,
und du bist auch mit schuld daran;
was ich dir hab so oft gelehrt
mit Drohen und mit Bitten,
das Mahlhaus zu behüten
vor Wagner Friedels Bleicher,
als einem falschen Schleicher,
daβ er nicht geh' durch dick und d
ünn
und auf und ab und her und hin
und mir dort Schaden mache,
und dann noch aus mich lache.
Wird mir der Schade nicht gut getan,
so geh' ich und meld' es beim Richter an.

Niedergeschmettert durch diesen donnernden Sermon, gab sich der Junge die gröβte Mühe, den erzürnten Bäcker zu besänftigen, indem er hoch und teuer gelobte, sich keine dergleichen Nachlässigkeiten mehr zuschulden kommen zu lassen, sondern künftighin als ein getreuer Mühlknappe seine Werkstatt vor allen Schlichen und Tücken bleicher und schwarzer Zauberer aufmerksam zu behüten.

Durch jenen Vorfall war der Franzl gegen den gefährlichen Bleicher voller Miβtrauen und wich ihm scheu aus. Darum versuchte dieser, seine dunkle Kunst in den Augen des gefoppten Jungen in ein helleres Licht zu rücken und durch eine neue Wundertat zu beweisen, wie nützlich dieselbe sich im Dienste der Gerechtigkeit erweisen könne. Anlaβ hiezu gab ein schwarzer "Stutz" (Muff), welcher angeblich in der Mühle vermiβt wurde und dessen Entwender man gerne entdeckt hätte. Nach vielem Raten und Meinen erbot sich der Bleicher, den Dieb zu zitieren dergestalt, daβ er in eigener Gestalt erscheinen und den gestohlenen Stutz zurückbringen müsse. Er wurde augenblicklich beim Wort genommen und traf auch sofort Anstalten, dasselbe zur Tat zu machen. Den Müllerlehrling gebrauchte er bei diesem guten Werke als Handlanger. Diesem wurde sein Miβtrauen bald so weit ausgeredet, daβ er ihm bereitwillig als Zauberlehrling diente.

Wagner schickte ihn in seine Wohnung nach dem schwarzen Buche, welches im schwarzen Schrein verschlossen sei, wozu er an seine Frau den Schlüssel mitgab. Es wurde ihm hoch und teuer anbefohlen, bei groβer Gefahr für Leib und Leben dasselbe nur in genau bezeichneter Weise zu tragen, unterwegs nicht zu öffnen, am wenigsten aber ein Wort darin zu lesen. Für das letztere Verbot bestand keine Gefahr, da er keinen Buchstaben kannte. Die Sendung wurde glücklich vollbracht, und Wagner nahm sein schwarzes Buch der Weisheit gravitätisch in Empfang. Er legte es vor sich auf den Tisch, ordnete seinen Anzug auf sonderbare Weise, setzte seine Brille auf die Nase und begann unter seltsamen Gestikulationen eine minutenlange Beschwörung. Sodann rief er wieder seinen Famulus und sandte ihn wiederum nach Hause mit einer Botschaft an seine Frau, sie solle den "Spiritus" in die Ofenröhre geben und scharf einheizen. Nach der Rückkehr des Boten nahm der weise Meister seine kauderwelsche Predigt wieder auf, war aber noch nicht lange damit fortgefahren, als er gleichsam in Verzückungen fiel, welche in Bauchschmerzen überzugehen schienen. Er wand und krümmte sich, und dabei gestand er, daβ der Dieb seiner Beschwörung Widerstand leiste; aber er kenne schon noch ein Mittel. Er lieβ sich ein Stückchen Papier geben, schrieb einige Worte darauf und übergab es dem Lehrjungen mit dem Auftrage: "Geh damit ins Mahlhaus und wirf es in den Mühlstein, so daβ es zwischen die Steine kommt!" Kaum war dieser Auftrag des weisen Meisters von seinem gelehrigen und folgsamen Jünger mit gröβter Pünklichkeit vollzogen, so erblickte man auch schon die Wirkung desselben: Eine vermummte weibliche Gestalt mit verhülltem Antlitz kam verstellten Ganges auf die die Mühle zugewankt, unter dem linken Arm den gestohlenen Stutz. Als sie sich scheu und vorsichtig genähert hatte, warf sie denselben schnell durch das offene Fenster in die Stube herein und verschwand augenblicklich vor den Augen der erstaunten Zuschauer. Niemand der Anwesenden schien geneigt, die Hexe am Verschwinden zu hindern, am wenigsten zeigte der Lehrling Lust, sich an ihr zu vergreifen und sie festzuhalten. Ihm war bei der seltsamen Geschichte ganz gruselig zumute.

Seit dieser merkwürdigen Begebenheit aber hatte der leichtgläubige Lehrjunge einen heiligen Respekt vor dem Bleicher und seiner übernatürlichen Wissenschaft. Was er vorher für eine schwarze, hielt er nunmehr für eine weise Kunst. Am Sonntag danach ging er in seinen Geburtsort Friedrichswald, um dort seine Verwandten und Bekannten zu besuchen. Denselben erzählte er von den Wunderdingen, die er mit eigenen Augen gesehen hatte und - fand gläubige Ohren. Was erfolgte kurz darauf? Einem von diesen guten Leuten wurde seine Kuh krank, und alle Symptome lieβen vermuten, daβ das arme Tier behext sei. Als keines der versuchten Mittel anschlagen wollte, da fiel dem Eigentümer der Kuh Franzls Erzählung von den wunderbaren Taten des Bleichers Wagner ein, und er machte sich auf den Weg nach Neuwald, um sich guten Rat zu holen. Dienstfertig führte ihn der Mühljunge hin; Wagner aber war einigermaβen in Verlegenheit. Seine Neigung bewog ihn, diesen einfältigen Glauben nochmals zu einem Spaβe zu benützen. - Er setzte sich in die Positur eines Scharlatans, befragte den Bittsteller genau nach allen Umständen und Zufällen der kranken Kuh, erriet wohl auch mehrere derselben. Nach getaner Konsultation verordnete er folgendes Rezept: "Nehmt frische Buttermilch, gieβt braune Butter hinein, dazu etwas Salz und Pfeffer, rührt alles gut um und gieβt es der Kuh ein, hierauf reibt sie tüchtig am ganzen Körper mit einem wollenen Lappen, deckt sie warm zu und laβt sie ruhen!" Dieser Rat wurde genau befolgt, und die kranke Kuh wurde wirklich wieder gesund.

Der Name des weisen Bleichers aber war durch diese gelungene Kur vollends berühmt weithin durchs Gebirge. Binnen kurzer Zeit kamen mehrere Leute über den Proschwitzer Kamm herüber nach Neuwald gepilgert, um sich bei ihm Rat zu holen bei Krankheiten von Mensch und Vieh, bei Diebstählen und sonstigen Veranlassungen. Wagner jedoch verschmähte es, seine seltsame Berühmtheit absichtlich zu steigern und als Erwerbszweig auszubeuten, was ihm ein leichtes gewesen wäre. Er dachte: Es ist genug nun des scherzhaften Spiels und wies alle späteren derartigen Besucher kurzerhand ab, indem er jedem reinen Wein einschenkte. Keiner wuβte ihm aber Dank dafür, alle verlieβen ihn miβmutig und tadelten den eigensinnigen Mann, der da gleichsam sein Licht unter den Scheffel stelle, statt seine seltsamen, tiefen Kenntnisse zum Besten seiner Nächsten anzuwenden.

Auf dem maschinengeschriebenen Manuskript, das ich in dem Nachlaβ meines Vaters fand, - irgendjemand hat die Geschichte irgendwann irgendwo abgeschrieben - steht am Ende folgender handschriftlicher Vermerk:

"Dieses Haus Nr.44 wurde von Josef Wagner, dem Groβvater des Herrn Carl Wagner, angekauft." (Aus Nr. 44 wurde 1901 Nr. 444) In den Lebenserinnerungen Carl Wagners fand sein Enkel Helmut Wagner (Einbeck) folgende Sätze: "Vor dem Wehre war eine Wasserschöpfe, so auch unter dem Wehre eine Wasserschöpfe, welche wohl dem Vorbesitzer meines Groβvaters Ignaz Wagner zum Schöpfen bei seinem Bleichgeschäfte dienen mochten. ..." An anderer Stelle heiβt es dann: "Mein Groβvater lief mit Onkel Ignaz am oberen Wege ..." So könnte dieser Ignaz Wagner vielleicht der Urgroβvater oder ein Groβonkel Carl Wagners und damit der Ururgroβvater oder Urgroβonkel von Herrn Helmut Wagner in Einbeck sein. Genauer ist es nicht herauszufinden.

 

 

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