Ignaz Ginzkey - Sein Lebensbild

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IGNAZ GINZKEY
( 1819 – 1876 )

Sein Bild wankt nie im Urteil der Geschlechter.
gekürzt nach Benjamin Baier sen.

 

Einer der vollgültigsten Repräsentanten des deutschböhmischen Volkes, das seiner Energie, Intelligenz und Schaffenslust, als auch seines biederen Charakters wegen eine kräftige Stütze des Deutschtums in Österreich bildet, war Ignaz Ginzkey, der zu Maffersdorf am 25. Juni 1819 unter den bescheidensten Verhältnissen geboren wurde. Sein Vater Jakob Ignaz Ginzkey besaβ die Gärtnerwirtschaft Nr. 212 l.N. als Eigentum und betrieb nebenbei die Weberei und Tuchleistenspinnerei. Der Mutter Helena geb. Kretschmer aus Maffersdorf oblag neben der Hausarbeit und Kindererziehung der Vertrieb der erzeugten Waren. Der Sohn Ignaz war von sechs lebenden Geschwistern das vierte Kind. Anfänglich etwas schwächlich, entwickelte er sich mit Beginn des Schulbesuches zu einem frischen und kräftigen Jungen. Den ersten Unterricht empfing er in der aus zwei Klassen bestehenden Pfarrschule zu Maffersdorf, die er fleiβig durch sechs Jahre besuchte. Dabei hatte er das Glück, den Lehrer Gottfried Pischelt und den Kaplan Stefan Sommer als Erzieher zu haben. Ihnen ist es zu danken, daβ der Schulunterricht Ginzkeys, der in Städten auch nicht besser und umfassender erteilt wurde, eine so sichere und ausgiebige Basis für sein ganzes Leben werden konnte. Ginzkey entwickelte ein besonderes Talent zum Rechnen und war hierin, wie auch in den verschiedensten Gesellschaftsspielen überlegen. In die Spiele pflegte er in der Regel einen schlau angelegten Spaβ zu mischen. Kam es deshalb zu kleinen Balgereien, so wuβte sich der Junge stets auf kluge Weise aus der Affaire zu ziehen und den Streit zur Zufriedenheit der Beteiligten zu schlichten. Nach der sechsjährigen Schulzeit wurde er auf ein Jahr ins Tschechische geschickt, um die zweite Landessprache zu lernen. Es war dies eine häufig geübte Gepflogenheit.

Ins elterliche Haus zurückgekehrt, lernte er beim Vater die Weberei und half auch der Mutter bei der Tuchleistenerzeugung, speziell beim Färben derselben. Die damals nur auf einem Stuhl erzeugten Webwaren wurden auf den Märkten der Umgebung, auch nach Prag, zumeist aber in Reichenberg abgesetzt, wo die Mutter durch ihren "Twistenkram" sich eine groβe Bekanntschaft erworben hatte. Bei diesem Verkaufsgeschäfte war der junge Ginzkey oft in so weit tätig, als der kräftige Junge der Mutter die "Hocke" in die Stadt tragen half. Von 1837 bis 1839 gingen die Geschäfte schlecht, der Vater geriet in Zahlungsverlegenheit und sah sich 1839 gezwungen, die Gartenwirtschaft seinem ältesten Sohn Josef zu verkaufen. Doch auch das konnte nicht verhindern, daβ der väterliche Besitz unter den Hammer kam. Josef starb 1841. Wenn auch die Familie im Hause Wohnrecht bekam, wurde sie doch durch die Besitzer,die ehemaligen Gläubiger, hart bedrängt. Es war dies für Ignaz eine kummervolle Zeit und eine rauhe Schule, die aber, wie bei gesunden, tüchtig angelegten Charakteren zumeist, die Folge hatte, daβ seine Energie geweckt, seine Lust, die Bedrängnis zu durchbrechen, angefacht und seine Kraft, den Kampf aufzunehmen, verdoppelt ward. Sein unablässiges Streben ging nun dahin, den väterlichen Besitz wieder zu erwerben. Am 2. März 1843 starb sein Vater und Ignaz Ginzkey ward das Haupt der Familie. Durch rastlose Arbeit suchte er, alle ihm aus diesem Verhältnisse erwachsenen Verbindlichkeiten zu ordnen und die von seinen Eltern eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Schon wenige Tage nach dem Tode des Vaters stellte er den ersten Teppichstuhl auf, dem bald ein zweiter folgte, wozu sich 1845 der erste Deckenstuhl gesellte. Zu Allerheiligen des nämlichen Jahres zog Ginzkey mit seinen Teppich= und Deckenerzeugnissen auf den Wiener Markt.

Es war dies für den Anfang keine geringe Last, die er mit dieser Betriebsausdehnung auf seine jungen Schultern nahm, doch verlor er nie seinen frohen Lebensmut und seine Hoffnungsfreudigkeit. Stets heiteren Gemütes, schloβ er sich in der Gemeinde immer den besseren Gesellschaftskreisen an und war in der Wahl seines Umganges von jeher etwas rigoros. Er überragte auch dadurch viele seiner Jugendgenossen, daβ er sich frühzeitig im geschäftlichen Verkehr eine freiere Lebensanschauung angeeignet hatte. Dabei war er stets liebenswürdig und, wo es mit Anstand geschehen konnte, flott und lebenslustig. Wenn der Sonntag kam, war die harte Mühe der Woche vergessen und man ging mit einigen gleichgesinnten Freunden dem Vergnügen nach. Der zu jener Zeit neue Tanzsaal beim Maffersdorfer Scholzen bildete einen starken Anziehungspunkt für ein gewähltes Publikum aus Reichenberg und der Umgebung und deshalb auch für unseren Ginzkey, der als gewandter Tänzer zugleich die Gelegenheit wahrnahm, unter den Schönen Umschau zu halten, um eine Wahl zu treffen, die ihm helfen sollte, das väterliche Haus zurückzuerhalten und seinen Gewerbebetrieb zu erweitern. Gespart wurde bei solchen Anlässen nicht; es muβte stets anständig und nobel hergehen. Im Verkehr mit verschiedenen Geschäftsleuten und bei anderen geselligen Zusammenkünften ward manchmal auch ein Spielchen gemacht und dabei nicht selten der letzte schwer erworbene Groschen verloren. Dies und der Umstand, daβ Ginzkey den wucherischen Forderungen der Gläubiger gerecht zu werden suchte und nebenbei die Mutter und die jüngeren Geschwister zu versorgen hatte, mögen die Ursachen gewesen sein, daβ das mit Umsicht und Fleiβ geführte Geschäft noch nicht recht florieren wollte. Auch eine andere nicht eben angenehme Erfahrung blieb ihm deshalb nicht erspart. Der bei den heiratslustigen Mädchen des Ortes gern gesehene, ja begehrte junge Mann wurde bei ernsten Bewerbungen von den Eltern der Umworbenen nicht sonderlich beachtet und sogar mit Körben beteilt. Ginzkey hätte nicht eine gemüt= und charaktervolle Natur sein müssen, um Erlebnisse dieser Art mit leichtfertigem Troste hinzunehmen; die Eindrücke davon hafteten und blieben nachhaltig in ihrer Wirkung.

Eines der besuchtesten Gastlokale jener Zeit war die Maffersdorfer "Schänke", wo die Geschäftswelt und die intelligente Jugend verkehrte. Auch dort war Ginzkey ein von vielen Seiten gern gesehener Gast. Gar bald war sein Auge auf die Tochter des Hauses, Julie, ein reizendes und gewandtes Kind, gefallen, und in kurzer Zeit war zwischen beiden das rosige Band innigster Liebe geknüpft. So leicht sich die Herzen der jungen Leute gefunden hatten, so schwer war die Zustimmung des Vaters zu gewinnen. Josef Bergmann, ein wohlhabender, ehrenfester Kaufmann, huldigte der Ansicht, daβ zur irdischen Glückseligkeit, ein auf Geld und Gut gegründeter Hausstand gehöre. So war vorerst seine Einwilligung zur Schlieβung des Ehebundes nicht zu erlangen. Der strenge Vater lieβ es an deutlichen Winken für den Brautwerber und an Rügen gegen seine Tochter nicht fehlen. Aber gerade das knüpfte das Band zwischen den Liebenden fester, und dem rastlosen Streben Ginzkeys, seiner unverbrüchlichen Beharrlichkeit sowie der Standhaftigkeit und Treue der Braut gelang es, allerdings erst nach Jahren, den starren Sinn des Vaters zu erweichen. Freilich tat er den rigorosen Spruch dabei: "Ich gebe Euch nichts! Ihr müβt Euch kümmern!" Doch für die beiden jungen Leute war das Ziel ihrer Wünsche erreicht. Voll Selbstbewuβtsein, voll Vertrauen in die eigene Kraft betraten sie mutig am 27. April 1847 in der Maffersdorfer Kirche den gemeinsamen Lebenspfad.

Mit dem Einzuge der jungen Frau kam neues, frisches Leben in das Ginzkey'sche Haus, dessen guter Geist sie von der ersten Stunde an war; mit ihrem angeborenen Geschick fand sie sich rasch in die ungewohnte Arbeit des Geschäftes, und nach der Hausarbeit sah man sie fleiβig am Spulrade sitzen, während der Mann von jetzt ab mit verdoppeltem Eifer das Geschäft nach innen und auβen besorgte. Die Frau war sich gar nicht bewuβt, in der Blüte der Jahre ein groβes Opfer an Kraft und Gesundheit zu bringen, sie tat ihre Pflicht mit einer nur dem Weibe eigentümlichen Selbstlosigkeit, welcher die einmal gewählten Verhältnisse über alles gehen; da ward weder viel gefragt, noch gegrübelt, sondern Hand angelegt und geschaffen von morgens bis spät in die Nacht, wie es in einer rechtschaffenen Ehe nicht anders sein soll.

Das einträchtige Zusammenwirken und das junge Familienglück wurden aber bald durch äuβeres Miβgeschick gestört. Wie wir bereits wissen, hatte Ginzkey die Absicht, sein Elternhaus von den Gläubigern seines Vaters zu übernehmen und die verbliebenen Schuldigkeiten abzutragen. Die Gläubiger wurden nun nach der Hochzeit absichtlich mit ihren Forderungen ungeduldig und steigerten sie noch und übten einen nahezu unerträglichen Druck auf Ignaz Ginzkey aus. Sie rechneten damit, daβ sich der Schwiegervater Ginzkeys, Josef Bergmann, endlich herbeilassen werde, diesem das Geld vorzustrecken. Aber sie hatten sich mit dem unbeugsamen Charakter Bergmanns verrechnet. Er hielt sein Wort: "Ich gebe Euch nichts!" Dazu kam am 1. Mai 1847 noch der Tod der Mutter, an der Ignaz mit kindlicher Liebe gehangen. Ob sie ein Opfer des Hungertyphus geworden war, der in dem Notjahr 1847 auch in Maffersdorf so viele Menschen dahingerafft hatte? Als Ignaz Ginzkey nun bei den Gläubigern günstigere Zahlungsbedingungen zu erlangen suchte, verkauften sie ohne sein Wissen das Haus an Franz Skolaude aus Dörfel. Das war für die Familie auch deshalb eine sehr unangenehme Überraschung, weil der neue Besitzer Anspruch auf die Wohnräume anmeldete und der Ginzkeyschen Familie kündigte und mit Zwangsräumung drohte. Ignaz Ginzkey gelang es schlieβlich, das Haus Nr. 111 zu mieten. So schmerzlich das alles war, es hatte doch das eine Gute, daβ er die drängenden Gläubiger vom Halse hatte; er war jetzt imstande, die ganze Kraft dem Geschäfte zu widmen.

Im ersten Stockwerke des Hauses Nr. 111 wurden auch alsbald sechs Teppichstühle mit Jaquardmaschinen und ein Deckenstuhl aufgestellt; im anstoβenden Nebengebäude, welches früher der Schafwollspinnerei mit Göppelbetrieb gedient hatte, fand die Färberei Platz. Später übertrug er sie seinem jüngeren Bruder Wilhelm, der sein berufenster und gediegenster Mitarbeiter wurde. Bald jedoch trat der Eigentümer der Gebäude mit der Befürchtung an Ginzkey heran, die Häuser könnten durch die Ausdünstungen Schaden leiden, weshalb er auf den Ankauf der ganzen Realität drang. Er bediente sich, um zum Ziele zu gelangen, verschiedener kleiner Kunstgriffe. So streute er z.B. das Gerücht aus, daβ einzelne Bestandteile des für Ginzkey unentbehrlichen Nebengebäudes verkäuflich seien. Zwei Trägerbalken des Dachstuhles hatte er dazu besonders ausersehen; muβte ja doch, wenn jemand die Balken kaufen und heraussägen würde, das ganze Gebäude ins Wanken kommen. An einem Montag bot er sie tatsächlich in Reichenberg im Gastlokal des Rathauses zum Kauf an. Ginzkey, welcher zufällig auf dem Platze war, erhielt durch einem Freund von der seltsamen Feilbietung einen Wink, begab sich ins Lokal und kaufte die Balken für 15 Gulden; ein bescheidener Erwerb, aber es waren die Stützen eines beträchtlichen Gebäudes. Man kann es auch symbolisch sehen.

In dieser Zeit muβ es wohl auch gewesen sein, als das erste Kindchen in der Wiege lag; eine kleine Julia war am 25. Mai 1849 geboren worden. Leider verstarb sie im Sommer des nächsten Jahres. 1851 kam der Stammhalter Ignaz zur Welt. In den nächsten 15 Jahren füllte sich das Haus mit acht weiteren Kindern, von denen nur die kleine Franziska im Säuglingsalter starb. So forderten acht Kinder die ganze Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern, an denen sie in jeder Hinsicht groβe, nacheifernswerte Vorbilder hatten. Vom ersten Tage nach seiner Verehelichung war das traute Heim Ignaz Ginzkeys Welt, sein Alles, wofür er frohen Mutes an die harte Arbeit ging, worüber er die trüben Sorgen leicht vergaβ, die sich in der ersten Zeit mit zu Tische setzten und in den Stubenwinkeln hocken blieben. Keine der vielen späteren Ehrungen und Auszeichnungen war dem Ehepaar wertvoller als das glückliche Familienleben. 1872 zur Silberhochzeit - der älteste Sohn, Ignaz, war 21 und das jüngste Kind Alfred gerade 6 Jahre alt - führten die fünf Mädchen und drei Jungen ein kleines Spiel auf, von dem noch die ersten Zeilen erhalten sind: 

Ob knapp das Geld auch schon am ersten Tage,
Ihr ist um Rat und Hilfe nimmer Not,
Zwei Taler, ihrer Patin Hochzeitsgabe,
Greift fröhlich an sie für ihr erstes Brot.
Manch sorgenvolle Jahre noch vergingen,
Doch Liebe macht ja alle Bürde leicht,
Und treuem Fleiβe muβ es einst gelingen,
Daβ Sorg' und Müh' von seiner Schwelle weicht.
Wo Mann und Frau sich so dem Fleiβe weihen,
Wo Lieb' und Treu' sich reichen so die Hand,
Da muβ des Hauses schönstes Glück gedeihen,
Da blüht und wächst ein traut' Familienband.
Bald strömt' ins Haus des Himmels reichster Segen,
Die Räume wachsen, die Geschäfte blüh'n,
Von früh bis spät sich fleiβ'ge H
ände regen.
Lastwagen nun das stille Dorf durchzieh'n ... .

Die wenigen Worte, von einem lebenden Bilde begleitet, der Vater Wolle lesend, die Mutter neben ihm das Spulrad drehend, erzählen die Geschichte des Hauses Ginzkey treffender als viele Seiten chronologischer Aufzeichnungen; vom Spulrade zum Groβindustriellenbetrieb, worin um 1907 schon 1.200 Arbeiter ihr Brot finden, von jenen 2 Talern der Frau Patin bis zu einem jährlichen Geschäftsumsatz von 2 Millionen - es scheint eine unmeβbare Kluft dazwischen zu liegen und doch vermag sie Fleiβ, Ausdauer und strenge Rechtlichkeit zu überbrücken. Mit diesen Grundsätzen, dem teuersten Vermächtnis des Vaters und erfüllt von seinem Geiste traten die Söhne Ignaz und Willy, später auch Alfred, die Leitung des Geschäftes an.

Werfen wir nun noch einen kurzen Rückblick auf die industrielle Tätigkeit Ginzkeys, so erscheinen als die springenden Punkte der Entwicklung: die Ausnützung der als wertlos angesehenen Wollabfälle der inländischen Fabriken und die Einfuhr der Abfälle aus den französischen Kammgarnspinnereien, die sein Verdienst ist. Wie er durch Verwertung diese Rohstoffes rasch zu Wohlstand aufstieg, so hat die bald auch von anderen aufgegriffene Verarbeitung desselben Österreich eine wichtige Erwerbsquelle erschlossen und der heimischen Industrie neue Wege gebahnt. Es ruht in diesem Prinzip eine gewaltig treibende Kraft, die in den Ginzkeyschen Unternehmungen zu mächtiger Entwicklung und reicher Blüte aufgeschossen ist. Der Reichtum liegt auf der Straβe, aber nicht jeder versteht es, die Wünschelrute zu schneiden, um ihn zu heben.

In das tatenreiche Leben Ignaz Ginzkeys griff der Tod mit ungestümer Hast ein. Ginzkey war niemals anhaltend leidend gewesen; sein Tätigkeitstrieb hatte ihm dazu wohl nicht Zeit gelassen; auch erfreute er sich eines gesunden, rüstigen Aussehens und scheint darüber die Ausbildung eines Herzfehlers nicht beachtet zu haben. In der letzten Aprilwoche des Jahres 1876 stellten sich die Symptome eines Herzleidens ein, doch in keiner so alarmierenden Weise, wodurch die Katastrophe angezeigt zu werden pflegt. Am 3. Mai morgens stand das Herz still. Noch in den letzten Tagen, als die Kräfte schwanden, hatte er der Ortsarmen von Maffersdorf gedacht, für welche er die Summe von tausend Gulden zur Verteilung an seinem Begräbnistage aussetzte.

 

 

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MAFFERSDORF - Marktgemeinde im Landkreis Reichenberg - SUDETENLAND