PROF.
DR. OSKAR BAUDISCH
( 1881 – 1950 )
Ein
Wanderer in der großen Welt der Wissenschaft
nach Fritz
Feigl
Ehe ich
gekürzt einen Aufsatz von Herrn Fritz Feigel, Rio de Janeiro,
wiedergebe, der anlässlich des 1. Internationalen
Mikrochemischen Kongresses in Graz 1950 als Nachruf auf den
kurz vorher verstorbenen Dr. Baudisch erschienen ist, möchte
ich einige Sätze vorausschicken.
Menschen
können sich im Guten wie im Bösen unauslöschlich in das
Gedächtnis einprägen, so daß man sich über ein
Menschenalter hinweg an sie erinnert. Bei der Familie Baudisch
waren es wohl Güte, Menschlichkeit und Bescheidenheit. Josef
Baudisch (1851-1924) war Direktor in der Firma I. Ginzkey. Mit
seiner Frau Julie, geb. Ginzkey, hatte er drei Kinder: Rudolf
(1876-1940) war später Garnabteilungsleiter in der Firma I.
Ginzkey, Josefine (1878-1962) ist den alten Maffersdorfern
unter dem Namen Frau Fini Jung-Baudisch bekannt und Oskar
(1881-1950), von dem hier die Rede sein wird. Alle diese Daten
konnte ich 1995 den Grabtafeln der Familiengruft entnehmen und
auch, daß der Großvater mütterlicherseits Färbereileiter
der Firma I. Ginzkey war. Ein Freund der Familie, Emil Matzig,
hat uns dieses schöne Familienbild geschenkt; d.h. es kam auf
Umwegen mit seinem Album in meine Hände.
Herr Berthold
Appelt (Maffersdorf Nr.712), Realschuldirektor i.R. in
Neustadt an der Waldnaab hat schon 1959 einen Beitrag über
Oskar Baudisch für das Reichenberger Heimatarchiv
geschrieben, aus dem ich zitiere: "Durch Zufall und auf
Umwegen erhielt ich das Bildchen einer leidgeprüften,
stillen, edlen Frau, Fini Jung-Baudisch, von ihrem 80.
Geburtstag. Das weckte Erinnerungen. Vor 28 Jahren hatte ich
mich bei ihr für das mir zuerkannte Stipendium aus dem
Jung-Baudisch-Fond zu bedanken. Für den 13jährigen
Dorfjungen war das eine Ehre, aber auch eine schwere Aufgabe.
Mit viel Herzklopfen entledigte ich mich der Pflicht, vor der
halbseitig gelähmten Witwe, die sich mühsam am Stock
fortbewegte und mit der linken Hand schrieb, meinen Dank zu
sagen. Sie hatte daraufhin ihrem in Amerika lebenden Bruder
von mir berichtet, und so kam es, daß ich eine Zeit danach
direkt aus Yale in den USA von Universitätsprofessor Oskar
Baudisch aus gleich hochherziger Gesinnung 100 Kronen zur
Aufbesserung des durch Krieg und Inflation entwerteten
Stipendiums erhielt. Nur einmal durfte ich diesen hohen Herrn,
den edlen Gönner aus Amerika, und letztlich doch auch nur
Maffersdorfer, mit eigenen Augen schauen anläßlich eines
Besuches seiner Heimat, die ihn nie losgelassen hat. Leider
war ich damals erst ein Kind und nur demütig kindlich und
ehrfurchtsvoll konnte ich den Professor aus der neuen Welt
bewundern und bestaunen. Ich begriff zwar die anschauliche
Indianergeschichte vom böhmischen Johannisbad im
Riesengebirge (Baudisch hatte dort die sogenannten "Warm-Springs-Bäder"
eingerichtet, um Gelähmten Linderung und Heilung auf dieselbe
Art zu bringen, wie vor Zeiten schon die Indianer und dann die
Bewohner der westlichen Welt in dem international berühmten,
größten Heilbad der Welt, in Saratoga Springs.), aber die
wissenschaftlichen Verfahren seiner neuen Spurenanalyse und
seine photochemischen Arbeiten und die Bedeutung dieser seiner
Arbeiten konnte ich nicht erahnen, geschweige denn erfassen.
1945 konnte Oskar Baudisch über das amerikanische Konsulat
seiner Schwester das Elternhaus in Maffersdorf erhalten. Wie
Spreu zerstoben, wu βte
lange ein Maffersdorfer kaum vom anderen. Nun, da sich manches
wieder findet, schickt mir die Einsame, mein
Interesse für ihren Bruder annehmend, den beiliegenden
Nekrolog. ..."
Frau Josefine
Jung-Baudisch starb drei Jahre später, am 18. Juni 1962.
Aus dem
Nachruf versuche ich nun das Leben von Oskar Baudisch zu
skizzieren:
Am 28. März
1950 wurde der weltbekannte Biochemiker Prof. Dr. Oskar
Baudisch während eines Spazierganges in der Umgebung des
Ozeanographischen Institutes von La Jolla (Kalifornien), wo er
als Gast arbeitete, vom Tode ereilt.
Geboren am 3.
Juni 1881 in dem kleinen Fabrikort Maffersdorf im Kronlande
Böhmen der österreichisch-ungarischen Monarchie, hat
Baudisch den weitaus größten Teil seiner 69 Jahre außerhalb
des alten und neuen Österreich verbracht und ist als Bürger
der Vereinigten Staaten von Amerika gestorben. Trotz
räumlicher und zeitlicher Trennung und trotz aller
Erschütterungen durch die beiden Weltkriege ist Baudisch der
alten Heimat mit ihren unzerstörbaren Kulturwerten dauernd in
Liebe und Anhänglichkeit verbunden geblieben. Diese
Verbundenheit findet einen wundersam-symbolischen Ausdruck
darin, daß seine erste und seine letzte wissenschaftliche
Arbeit von österreichischem Boden aus den Weg in die
Öffentlichkeit angetreten hat. Als junger Mann hat Baudisch
nach Beendigung seiner Studien, 1905, mit seinem ersten
Chemielehrer F. Breindl in Reichenberg (Böhmen) eine
Untersuchung über die "Oxydation von Proteinen durch
Wasserstoffsuperoxyd" ausgeführt und veröffentlicht.
Nunmehr kommt 1950 am I. Internationalen Mikrochemischen
Kongress in Graz die Arbeit "Nitrosophenolphtalin, a New
Organic Reagent" zur Verlesung, die, in Saratoga Springs
durchgeführt, von Baudisch knapp vor seinem Tode korrigiert
worden ist. In diesen 45 Jahren ist das Wirken des Forschers
und Lehrers O. Baudisch eingeschlossen. Es war ein
erfolgreiches Wirken auf vielen Gebieten der Chemie, nicht
zuletzt der Mikrochemie, die mit seinem Heimgang den Verlust
eines ihrer prominentesten Vertreter beklagt, dessen Name
dauernd in Ehren genannt werden wird.
Baudisch hat
die ersten Grundlagen seiner chemischen Ausbildung in der
ausgezeichneten k. k. Staatsgewerbeschule Reichenberg
erhalten. Als er diese 1900 absolvierte, war ihm durch die
damals in Österreich geltenden Schulgesetze eine Fortsetzung
des Chemiestudiums an Hochschulen verwehrt. Er ging in die
Schweiz, wo er in die Züricher Technische Hochschule
eintreten konnte. Dort erhielt er 1904 den Dr. phil. der
Universität Zürich. Nach Beendigung seines einjährigen
Militärdienstes in der österr.-ungarischen Armee arbeitete
Baudisch mehrere Monate in Reichenberg an der oben erwähnten
Untersuchung über Proteine. Seine Erwartung, durch diese
Arbeit bei E. Fischer in Berlin eine Anstellung zu bekommen,
erfüllte sich nicht. Hingegen bot ihm E. Bamberger eine
Stelle als Privatassistent an der Technischen Hochschule in
Zürich an. Dort blieb er bis Herbst 1907, um dann nach
Manchester zu gehen. Aus dem Perkin-Laboratorium stammt seine
berühmt gewordene Arbeit über das Cupferron, die ein
Meilenstein in der analytischen Chemie ist.
Als er 1909
Manchester verließ, machte er nach kurzer Tätigkeit in der
deutschen Farbenindustrie auf dem Weg nach Italien in Zürich
halt, um ehemalige Lehrer zu besuchen. Man bot ihm die
Assistentenstelle bei A. Werner an, und Baudisch griff zu.
Damals war Zürich das Mekka der Chemie und Physik. Dort
arbeitete zu der Zeit auch Albert Einstein neben vielen
anderen sehr bedeutenden Wissenschaftlern. In dieser Umgebung
als Wissenschaftler zu beginnen und sich durchzusetzen, war
gewiß keine leichte Aufgabe. Baudisch hat sie bestanden. Er
habilitierte sich 1911 und las als Privatdozent der
Universität Zürich über Photochemie, Pflanzenchemie und
allgemeine Biochemie, leitete wissenschaftliche
Experimentalarbeiten und begann auch Medizin zu studieren. Er
verfügte über eine geradezu phänomenale Arbeitsfähigkeit
und unermüdliche Energie. Zu Beginn des Jahres 1914 wurde er
als Direktor an das Strahlenforschungsinstitut Hamburg
berufen. Während des ersten Weltkrieges war Baudisch als
Sanitätsoffizier in der österr.-ungarischen Armee in der
Seuchenbekämpfung tätig und arbeitete danach im Kaiser
Wilhelm-Institut in Berlin. 1920 erreichte ihn nicht nur die
Berufung als Forschungschemiker an die Yale Universität,
sondern auch als Professor nach Prag, Brünn und Hamburg.
Baudisch wählte Yale, wo er 2 Jahre Photochemie lehrte, und
folgte dann einer Einladung des Rockefeller Institutes für
Medizinische Forschung. Sein Arbeitsgebiet war sehr
vielseitig; u.a. leitete er Untersuchungen und Studien über
Mineralwässer, einen damals noch ganz jungen Zweig der
Chemie. Zum Studium von Schwefelquellen bereiste er Mexiko und
arbeitete über einige Monate hinweg mit H. v. Euler in
Stockholm zusammen. In diesen Arbeiten fand er die
Bestätigung seiner bereits 1925 ausgesprochenen Ansicht über
die gro βe
biologische Bedeutung von Spurenelementen im
Boden und im Wasser. 1933 erreichte ihn in Yale die Einladung
F. D. Roosevelts, des späteren Präsidenten der USA, zur
Errichtung eines Forschungsinstitutes für Heilwässer in
Saratoga Springs. Dort hat Baudisch einen Wirkungskreis
gefunden, der seiner vielseitigen Ausbildung, seiner
schöpferischen Begabung und seinem Organisationtalent in
jeder Hinsicht entsprach. Es ist sein Verdienst, daß das
Forschungsinstitut in Saratoga Springs international berühmt
wurde. Von Saratoga aus unternahm er viele Vortragsreisen
durch die Vereinigten Staaten und war auch Berater des
Ozeanographischen Institutes in La Jolla, wo er Untersuchungen
über Spurenelemente im Seewasser leitete, als der Tod seinem
arbeitsreichen Leben ein Ende setzte.
Jedes Bild des
Forschers Baudisch wäre unvollständig, würde man nicht des
Menschen Baudisch gedenken, des so liebenswerten und edlen
Menschen. Begeisterung und Optimismus, die Baudisch in seinen
Lehr- und Wanderjahren zu so vielen berühmten Männern
geführt haben, sind Leitmotive seines Lebens und Wirkens
geblieben. Dazu kam die neidlose, oft demütige Anerkennung
der Leistungen anderer und etwas so selten Gewordenes: Treue
und Dankbarkeit. Wenn er über seinen Werdegang sprach, dann
versank die Zeit. Die großen Meister der Chemie, denen er
begegnet war, wurden wieder lebendig. Dann sprach nicht mehr
ein Mann, der in vielen Jahren hingebungsvoller Arbeit
wahrlich selbst unsere Wissenschaft ein gutes Stück
weitergebracht hat, sondern da schwärmte ein junger Student
von verehrten Lehrern. Begeistert und andächtig hat Baudisch
auch die Schöpfungen der Natur und die gro βen
Werke der Musik und Literatur erfühlt
und mit der Seligkeit des Beschenkten erlebt. Jeder, der mit
ihm persönlich oder durch Korrespondenz in Verbindung stand,
hatte das Gefühl, einem reinen Menschen nahe zu sein, von dem
Liebe, Güte und Verstehen ausstrahlten.
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