Anna Wagner - Eine Mutter und zwei Kriege

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ANNA WAGNER
(1894 – 1980)

So wie sie lebte, starb sie auch.
nach Berichten von Dr. Peter Wagner

 

Im Jahre 1891 erhielt Josef Havel die Konzession zur Errichtung einer Apotheke in Maffersdorf. Er heiratete Anna Staatz, und am 18. September 1894 kam die erste von zwei Töchtern zur Welt, Anna. Ihr folgte bald eine kleine Marie. 1910 starb der Vater, die Mutter verpachtete 1911 die Apotheke an den 28jährigen Magister ph. Karl Wagner. Drei Jahre später heiratete er die junge, hübsche Anna. Der erste Sohn, Karlfried, wurde 1917 geboren, Peter erblickte 1923 das Licht der Welt. Damit war die Maffersdorfer Apothekerfamilie komplett. Ihr Herz war die Mutter.

Frau Anna Wagner war eine aktive, ideenreiche, bewuβt lebende Frau mit einem starken Glauben. Die tiefe Religiosität der Mutter und die gerade, ritterliche und christliche Haltung des Vaters bestimmten weitgehend die Weltanschauung der beiden Söhne, die in der Apotheke eine ausgesprochen sorglose und sonnige Kinderzeit verlebten. Die Liebe der Mutter wurde ergänzt durch die strenge und gerechte Art des Vaters. Für beides ist Dr. Peter Wagner seinen geliebten Eltern heute noch dankbar. Im Hause Wagner wurde viel musiziert. Vater Wagner war ein begeisterter Bergwanderer, der das Jeschken-, Iser- und Riesengebirge bis ins Detail kannte, so wurden die Kinder zur Liebe zur Natur und der schönen Heimat erzogen. Die Buben muβten bald auch lernen, was Sparsamkeit, Toleranz und Bescheidenheit ist. Frau Apotheker Wagner pflegte die Türen des Hauses "offen" zu halten für jedermann, der Sorgen hatte, Rat und Hilfe suchte oder zu den Freunden der Familie zählte. Der Lebensweg der Söhne war eigentlich vorgezeichnet, der ältere, Karlfried, studierte in Prag Pharmazie und wurde Apotheker, und Peter wollte als Junge schon immer Doktor werden, denn solche gingen ja im Hause aus und ein, und auch in der Verwandtschaft gab es zwei, den Dermatologen Dr. Schmelowski in Gablonz und Dr. Hans Wagner, den Direktor des Krüppelheimes in Reichenberg. Er begann nach dem Besuch des Gymnasiums in Reichenberg sein Medizinstudium an der Deutschen Karls-Universität in Prag.

Da kam der schreckliche Krieg. Karlfried wurde eingezogen an die Ostfront, vom Rückzug hatte man noch Nachricht. Es kam das Kriegsende. Von Karlfried keine Nachricht mehr. Peter erlebte den Einmarsch der Russen am Städtischen Krankenhaus in Reichenberg, wo er als Assistenzarzt eingesetzt war, obwohl er sein Studium noch gar nicht fertig hatte. So war wenigstens der Jüngste in der Nähe der Mutter. Sie hoffte auf ein Lebenszeichen des Älteren. Der Sommer und Herbst 1945 brachte die Leiden der wilden Vertreibungen, das Dorf löste sich auf, Freunde gingen ins Ungewisse, Selbstmorde, Verzweiflungstaten unter den Bekannten und Nachbarn. Peter hatte im Krankenhaus u.a. in den an die Infektionsabteilung angeschlossenen Zellen für Nervenkranke die gerade in dieser Zeit gehäuft eingelieferten psychisch erkrankten Landsleute und die aus dem Reichenberger Kreisgericht eingelieferten schwerstkranken oder sterbenden "Inhaftierten und Verbrecher" zu betreuen. Die Mutter wird dem 22jährigen Mediziner wohl manche seelische Hilfe gegeben haben. Wie hätte man das sonst ausgehalten? Schlieβlich ein neuer Schicksalsschlag, die Gewiβheit: Karlfried ist bei Danzig in den letzten Kriegstagen verschollen. Dann im Februar 1946 die Ausweisung, der Verlust von Haus, Hab und Gut, der Heimat.

Ein neuer Anfang wurde in Bayern versucht. Zusammen mit ihrem Ehemann baute Anna Wagner in Bad Aibling 1950 unverdrossen eine neue Apothekenexistenz auf, sie machte Mut, sie war der Motor und baute auf Gott. Sie betete und opferte, und sie hatte ein unerschütterliches Vertrauen zum Hl. Josef, zur Mutter Jesu, zum Hl. Nepomuk und überhaupt zu allen Heiligen. So ist es ganz selbstverständlich, daβ die Wagner'sche Apotheke in Bad Aibling den Namen "Marienapotheke" bekam. Mit ihrem festen Gottvertrauen prägte sie auch ihre Umgebung und tat ununterbrochen Gutes im stillen. Ein tiefes Anliegen war ihr immer die Betreuung der Ministranten, Theologen und Priester gewesen - im Krieg und im Frieden, im KZ und in Krankheit. Wer immer sie anbettelte, dem gab sie. Sie wirkte apostolisch bis zum letzten Tage ihres Lebens. Auf ihren Reisen plante sie die Wallfahrtsorte immer mit ein. Das Ehepaar Wagner erlebte 1948 die Promotion Peters zum Dr. med. und unterstützte ihn in seinen Assistentenjahren, die er an verschiedenen Krankenhäusern ableistete. Damals gab es für junge Mediziner keine Bezahlung, ja nicht einmal ein Essen für ärztliche Berufsausübung. Während seiner Wanderjahre erlernte er das Handwerk der Chirurgie, Urologie, Gynäkologie und betätigte sich auf dem Gebiete der Kinderheilkunde und Orthopädie. Balneologie und Rheumatologie wurden dann sein Hauptarbeitsgebiet. So kam er im Januar 1957 schlieβlich nach Bad Aibling, ein Freudentag für die Eltern. Er übernahm zunächst als 2. Arzt die Betreuung der Schwerkriegsversehrten in der Versorgungskuranstalt, deren Chefarzt er später wurde. Vorher aber gab es im Oktober 1958 eine Hochzeit zu feiern. 1966/61 bauten die Eltern Wagner und das junge Ehepaar zusammen ein Zweifamilienhaus in Bad Aibling, welches bald nacheinander drei muntere Buben mit Leben erfüllten. Sie hielten die Eltern auf Trab und erfreuten vor allem die Groβmutter, denn 1962 war ihr Mann verstorben und hatte eine groβe Lücke in ihr Leben gerissen. Die Kinder halfen wohl auch mit, daβ die Wunde vernarben konnte, die der Schmerz um den vermiβten Sohn gerissen hatte. Nun erfüllte wieder Musik das Apothekerhaus. Vielleicht fühlte sich Frau Anna Wagner gelegentlich in Gedanken in die Adler-Apotheke nach Maffersdorf zurückversetzt, wenn die Schulkinder ins Haus stürmten, blutende Knie zu verpflastern waren oder die Ministranten zum "Dienst" muβten. Ein Stück ihrer Erziehung fürs Leben haben die Wagner-Buben jedenfalls von der Oma bekommen. Freude hat ihr sicher auch bereitet, daβ ihr Sohn Peter beruflich erfolgreich und in der Gesellschaft geachtet war. Viele Ehren- und Nebenämter hat er ausgeübt. Aber ihr Herz ist bestimmt immer warm geworden, wenn Dr. Peter Wagner in den Festgottesdiensten die Orgel spielte zum Lobe Gottes. Gott war ihr Halt und gab ihr Kraft. Tapfer meisterte sie im Alter ihren Gesundheitszustand und blieb bis zuletzt selbständig und ihr eigener Haushaltsvorstand, geistig aktiv, voller Ideen und wenig auf fremde Hilfe angewiesen.

So wie sie gelebt hatte, starb sie auch - praktisch beim Rosenkranzgebet in der Kirche, gottergeben, mit ihrem Glauben im Klaren, bescheiden und möglichst die anderen nicht belastend - als eine christlich-katholische Persönlichkeit und Dame. Ihr Todestag ist der 25. Januar 1980.

 

 

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MAFFERSDORF - Marktgemeinde im Landkreis Reichenberg - SUDETENLAND