DER
BERGMANN-PAUER
( gestorben am
22.5.1950 )
Ein
spätes Opfer der Vertreibung
von Roland
Bartmann
Jede Familie
hatte früher "ihren" Bauer - wir in Maffersdorf
sagten ja "Pauer" -, zu dem man immer ging, wenn
etwas aus der Landwirtschaft gebraucht wurde. Von ihm bezog
man im Herbst die "Ardeppl" (Erdäpfel, Kartoffeln)
oder holte das Stroh, wenn alle paar Jahre der Strohsack neu
gestopft werden mu βte.
Das sind nur zwei Beispiele, denn vieles hing damals von der
Landwirtschaft ab. Bei seinem Bauern half man auch
gelegentlich mit, etwa beim Heumachen, beim Rübenhacken,
in der Getreideernte oder beim Ardepplklauben.
"Unser"
Bauer in Maffersdorf war der Bergmann-Pauer. Das gute und
freundschaftliche Verhältnis unserer Familie zu dem
Landwirtsehepaar Ferdinand und Marie Bergmann war durch die
gemeinsame Herkunft meiner Mutter und Marie Bergmann (geborene
Ressel) aus Raspenau im Kreis Friedland begründet. Sie waren
in diesem, im Wittigtale gelegenen Dorf, gemeinsam in die
Schule gegangen.
Die Bergmanns
hatten ihren Hof, zu dem etwa 12 ha Felder gehörten, in
Maffersdorf unter der Schanze. Die Lage des zu bearbeitenden
Ackerlandes war ideal. Die Wirtschaft war ein Musterbeispiel
einer Hofstätte in einem Waldhufendorf. Vorn am Weg lagen
Wohnhaus, Stall und Scheune, hinter denen sich entlang eines
Wirtschaftsweges die Felder in nördlicher Richtung über die
Schanze bis hin zum Wald erstreckten. Der anschlie βende
Wald, bis hinauf zum Proschwitzer-Kamm-Weg, war ebenfalls im
Besitz des Bergmann-Bauers. Von der Schanze, einer
birkenbestandenen Anhöhe,
von der man eine schöne Aussicht auf Maffersdorf hat,
gehörte ihm die östliche Hälfte. Die Schanze trug ihren
Namen zu Recht: Im Gelände des Birkenwäldchens waren noch
deutlich Spuren von Verschanzungen erkennbar, die in
kriegerischen Zeiten vergangener Jahrhunderte angelegt worden
waren.
Ferdinand
Bergmann war ein Bauer, der mit Leib und Seele an seinem Beruf
und seiner Scholle hing. Sein landwirtschaftlicher Betrieb war
technisch stets auf dem neuesten Stand. Zuerst kamen Scheune,
Stall und das Vieh, dann erst der Mensch. So kam es, da β
sein bescheidenes, ebenerdiges Wohnhaus nie eine bauliche
Veränderung erfuhr, wogegen das Stallgebäude längst
umgebaut und beispielweise mit automatischen Selbsttränken
ausgerüstet war. Auch ein modernes Tiefsilo für Grünfutter
hatte er in einem Nebengebäude angelegt. Dieses Bauwerk,
einem tiefen Burgbrunnen vergleichbar, wirkte auf mich als
Kind besonders unheimlich. Erzählungen der Erwachsenen, von
anderswo in Silos schon vorgekommenen Unglücken, verstärkten
diesen Eindruck noch.
Während des
zweiten Weltkrieges standen dem kinderlosen Ehepaar Bergmann
zwei landwirtschaftliche Hilfskräfte zur Seite: eine Magd aus
Polen - solche Arbeitskräfte wurden damals als Fremdarbeiter
bezeichnet - und ein französischer Kriegsgefangener. Die
Polin wohnte im Hause, doch der Franzose, er hie β
mit Vornamen Camille, war im Kriegsgefangenenlager in der
Turnhalle links der Neiβe untergebracht. Die beiden
hatten es bei den Bergmanns gut getroffen. Bauer Ferdinand war
ein gutmütiger und ruhiger Mensch, der nicht viele Worte
machte. Ich erinnere mich noch heute, wie ich ihn als Kind
bewunderte, wenn er barfuβ über ein frisch gemähtes
Stoppelfeld ging. Man hätte meinen können, er hätte
Elefantenhaut an den Füβen. Frau Marie war eine
energische und resolute Bäuerin. Sie sagte ihre Meinung immer
gerade heraus, auch, wenn diese dem Gesprächspartner
vielleicht nicht so angenehm war. Das konnte manchmal in sehr
heftiger Form geschehen. Letztlich, das wuβte jeder, der
sie näher kannte, war aber auch sie eine gute Seele, die
immer hilfsbereit und freigebig war und niemanden im Stich lieβ.
Nach dem
Kriegsende mu βten
die Bergmanns im Sommer 1945 schon bald aus ihrem Haus heraus.
In mehreren Briefen, die uns unsere Tante Emma Steffan nach
unserer im Juni erfolgten Vertreibung an eine Kontaktadresse
in Sohland/Spree, bzw. Wochen später
bereits an unseren ersten festen Wohnsitz nach Thüringen
schrieb, ist mehrfach von ihnen die Rede. In so einem Brief
vom 3.9.1945 berichtet Tante Emma über Bergmanns: "Die
sind bei Porsche, Bergmanns Neffen, mit in der Wohnung und
arbeiten mit. Frau Bergmann sehnt sich halt so nach einer
Stube allein."
Im Jahre 1946
wurden auch Ferdinand und Marie Bergmann endgültig aus
Maffersdorf vertrieben. Sie kamen mit einem Transport nach
Hessen, wo sie im Raum Gie βen
im Dorf Freienseen eine Bleibe fanden.
Im Frühjahr
1950 haben wir - meine Mutter und ich - sie dort noch einmal
besucht und von ihnen gro βe
Hilfe und Unterstützung erfahren. Von Tannroda im Kreis
Weimar hatten wir uns damals aufgemacht, meine Schwester Emmi
in Tirol zu besuchen, die wir jahrelang nicht mehr gesehen
hatten. Im Norden Thüringens glückte uns der illegale
Grenzübertritt in den Westen. Jedoch unser Plan, gröβere
Strecken in Richtung Süden per Anhalter zurückzulegen, lieβ
sich nicht verwirklichen. Niemand nahm uns mit. Teils zu Fuβ,
teils mit der Eisenbahn erreichten wir buchstäblich mit dem
letzten Pfennig Freienseen, denn bei einem Wechselkurs von 1:7
war unser "Vermögen" an Ostmark sehr schnell
zusammengeschmolzen. Mutters Schulfreundin Marie und ihr Mann
Ferdinand Bergmann nahmen uns freundlich für einige Tage auf,
obwohl sie doch selbst nur sehr unzulänglich im oberen
Stockwerk eines Bauernhauses untergebracht waren. Darüber
hinaus halfen sie uns auch noch mit Westgeld aus, damit wir
unsere Reise ins österreichische Tirol fortsetzen konnten.
Das gelang uns auch. Was machte es da schon aus, daβ wir
bei der Heimfahrt, als wir wieder schwarz über
die Grenze gingen, bei Sonneberg von der Volkspolizei
geschnappt wurden und in Oberlind eine Nacht lang in einen
Keller eingesperrt wurden?
Zurück zu
unserem Besuch in Freienseen. Einen Satz von Frau Bergmann
habe ich heute noch in den Ohren: "Er hätte halt suu
garne noch amoul zwej Kiehe", womit sie ihren Mann
meinte. Ferdinand Bergmann, der sehr resigniert und
niedergeschlagen wirkte, sagte nichts dazu.
Einige Wochen
später erhielten wir die Todesnachricht. Ferdinand Bergmann
war am 22. Mai 1950 verstorben. Man hatte ihn tot im Walde
gefunden. Er war über den Verlust der Heimat, seiner
Landwirtschaft und seiner Kühe nicht hinweggekommen. Ich kann
den Todestag so genau angeben, weil er im Gedenktagekalender
meiner Mutter verzeichnet ist. So ist auch der Bergmann-Pauer
letztlich ein Opfer der Vertreibung geworden. Marie Bergmann
überlebte ihren Ehemann noch um acht Jahre. Sie starb am 7.
Juni 1958 im Krankenhaus in Laubach und wurde in Freienseen
beerdigt.
Soweit der
Brief von Roland Bartmann. Ich möchte noch ein paar Sätze
zum Bauernhaus Nr. 86, das seit 1875 im Besitz der Familie
Bergmann war, anfügen.
Heute stände
es wahrscheinlich unter Denkmalschutz als eines der ältesten,
kaum veränderten Bauernhäuser Maffersdorfs. Schon 1560 wird
die Wirtschaft in den alten Kaufbüchern erwähnt, als sie ein
Christoph Seibt von den Waisen seines Stiefbruders Hans
Schlune um 60 Schock kaufte. Spätere Besitzer waren die
Familien Lange, Nöhrig und Fiebiger. Über ein Jahrhundert
aber wurde das Gut von der Familie Appelt bewirtschaftet, dann
ging es an die Bergmanns über.
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