Erika Peukert-Weber - Traurigste Zeit meines Lebens

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ERIKA PEUKERT-WEBER
( * 1919 )

Das war die traurigste Zeit meines Lebens
gekürzt aus ihrer Familiengeschichte

 

Mein Vater Ernst Weber begann 1905 - wie konnte es anders sein - sein Berufsleben bei der Firma Ginzkey in der Englischen Weberei. 1913 heiratete er in die Wöhlschmiede ein. Als sein Schwiegervater unerwartet schnell gestorben war, dachte er kurz daran, die Schmiede weiterzuführen. Aber er hatte längst seinen Beruf und ging darin auf. Ab 1920 leitete er die Englische Weberei als Meister über 130 Stühle und aller dazugehörenden Vorbereitungs- und Appreturabteilungen. Später übernahm er auch die technische Leitung der Papierspinnerei. Oft saβ er abends oder am Sonntag über ein Blatt Papier geneigt, skizzierte, zeichnete und sann über Verbesserungen an den Textilmaschinen nach. Mit seinen Plänen fuhr er einige Male im Dienste der Fa. Ginzkey in die Maschinenfabrik nach Chemnitz, wo seine Vorschläge anerkannt und umgesetzt wurden. Man bot ihm eine Stelle als Konstrukteur in dieser Fabrik an, doch seine Liebe zu Maffersdorf hielt ihn zurück. So blieb die Wöhlschmiede die Heimat der Familie, in der nach dem ersten Weltkrieg mein Bruder Willi und ich heranwuchsen. Willi begann bald in die Fuβstapfen des Vaters zu treten. Nach der Matura besuchte er die Textil-Ingenieur-Schule in Brünn. Aber zwei Jahre tschechischer Militärdienst unterbrachen schon nach einem Jahr seine Ausbildung und ein Jahr nach Wiederaufnahme des Studiums rief Ende 1939 die Deutsche Wehrmacht.

Im Mai 1940 wurde mein Bräutigam, der Kälte-Ingenieur Helmut Peukert, eingezogen. Er hatte die Matura an der Staatsgewerbeschule in Reichenberg mit Auszeichnung abgelegt und auch den Abiturientenkurs an der Handelsakademie. Gern hätte er weiter studiert, aber in der Wirtschaftskrise damals reichte das Geld nicht. So arbeitete er ab August 1932 als technischer Angestellter in Karlsbad, leistete den tschechischen Militärdienst ab und wurde 1935 im Kühlanlagenbau tätig.

Im Dezember 1940 heirateten wir, und mein Heim wurde Helmuts Elternhaus in der Lehmgasse Nr. 127. Helmut war auch ein echter Maffersdorfer. Seine Vorfahren sind urkundlich ab 1749 in Maffersdorf ansässig gewesen. 1942 kam unser Sohn Uwe zur Welt. Im Januar 1944 hatte mein Bruder Fronturlaub bekommen und Lotte Neumann geheiratet. Es war unser letztes Familienfest, an dem wir alle noch einmal beisammen sein durften. Danach muβte mein Bruder trotz etlicher Erfrierungen an den Unterschenkeln sofort wieder ins russische Kriegsgebiet. Nach langem, langem Warten auf Post erfuhr mein Vater im Mai, daβ Willi seit März vermiβt war. Inzwischen war auch mein Mann wieder an die Ostfront eingerückt. Zehn Tage nach der Vermiβtmeldung seines Sohnes erhielt mein Vater die Nachricht vom Tode meines Mannes. Am nächsten Tag - man hatte mir noch nichts gesagt - wurde ich von zwei Buben entbunden, und den folgenden Tag hatte Wilma, die jüngste Schwester meines Mannes, Hochzeit. Fünf Tage nach der Frühgeburt starb der schwächere Zwilling. Das war die traurigste Zeit meines Lebens. Im Oktober brachte Lotte, die Frau meines Bruders, einen Sohn zur Welt, von dessen Werden sein Vater nichts mehr hatte erfahren können.

Am 8. Mai 1945 war der Krieg zu Ende. Die Russen marschierten ein. Wir Frauen zitterten jede Nacht. Als wir uns wieder auf die Straβe wagten, muβten wir alle weiβe Armbinden tragen als Freiwild für die ins Sudetenland losgelassenen Tschechen. Diese durften uns wegnehmen, was ihnen gerade in die Augen stach, oder uns zu irgendeiner miesen, meist unnützen Arbeit abkommandieren. Die Lebensmittelrationen wurden für die Deutschen stärkstens gesenkt, oft war nichts mehr vorhanden.

Dann begann die Vertreibung. Unsere schöne Turnhalle war der Sammelplatz für Raub und Abmarsch. Viele, die noch nicht "heim ins Reich" gejagt wurden, muβten dennoch ihre Häuser verlassen. Zu ihnen gehörten am 19. Juli 1945 auch meine Schwiegereltern und ich mit meinen zwei Kindern. Meine Schwiegereltern kamen bei ihrer Tochter Wilma unter, die am 20. Juli ihr erstes Kind gebar. Ich zog zu meinen Eltern in die Wöhlschmiede. Die Enge und die Not waren groβ. Dann kam eines Tages eine Abordnung vom narodny vybor zwecks "Hausdurchsuchung", es war ein ausgesprochener Raubzug. Wäsche, Geschirr, Schmuck und vieles, was wir in der Eile gar nicht überblicken konnten, wurde "beschlagnahmt". Vater war zur gleichen Zeit in der Fabrik geschlagen worden.

Bald kam ein neuer "Befehl": Das Haus verlassen! Alle in einen einzigen, winzigen Raum in einem Bauernhof nahe dem "Grünen Tal"! Der Tscheche, der jetzt dort wohnte, nahm aber keine Deutschen auf, denn er habe keine Lust aufzupassen, daβ ihm nichts gestohlen werde. Die Schwiegereltern meines Bruders wollten uns helfen und boten uns Unterkunft im kleinen Knappe-Häuschen an. Das war aber mit groβen Schwierigkeiten verbunden, denn es stand uns keineswegs zu, nach eigenem Gutdünken ein Quartier zu beziehen. Dazu war ein Befehl oder wenigstens eine behördliche Erlaubnis nötig. Frau Neumanns Bemühungen verdankten wir schlieβlich die Bewilligung. Obgleich die Familie selbst zu fünft war, nahm sie uns sechs noch auf. Dort blieben wir, bis wir mit dem groβen Ginzkey-Transport im August 1946 die Heimat verlieβen.

 

 

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MAFFERSDORF - Marktgemeinde im Landkreis Reichenberg - SUDETENLAND