11.
Aufbruch in die neue Zeit
Im
Jahre 1740 brach nach dem Tode Karls VI. der spanische
Erbfolgekrieg aus, in den sich die junge Maria Theresia durch
den im gleichen Jahr zur Regentschaft gekommenen Friedrich II.
von Preuβen verwickelt sah. Er bestritt nicht ihre
Erbansprüche, forderte aber die Herausgabe von drei
schlesischen Herzogtümern. Am 16. Dezember rückte er in
Schlesien ein. Es folgten sieben Kriegsjahre, in denen
Österreich auch von Bayern, Frankreich und Spanien bedrängt
wurde. Am Ende hatte Maria Theresia im Frieden zu Aachen Parma
und Piacenza an Spanien abzugeben und den schmerzlichen und
folgenschweren Verlust von Schlesien zu beklagen. Kaum hatte
sie mit der Durchführung groβzügiger Reformen begonnen,
ertönten 1756 erneut die Sturmglocken des Krieges. Im
Hintergrund dieses neuerlichen Krieges, der die Sudetenländer
schweren Prüfungen unterwarf, standen wiederum weltpolitische
Konflikte. Er zog sich mit blutigen Schlachten in wechselvoll
dramatischem Spiel auch über sieben Jahre hin. Die
Sudetenländer waren immer wieder Kriegsgebiet. Noch einmal
kam der groβe Schrecken, als Österreich und Preuβen
1778 im Streit um die bayerische Erbfolge erneut aneinander
gerieten. Der Verlust Schlesiens an Preuβen in diesen
Kriegen hat möglicherweise den Grund gelegt für die
Katastrophe 1945. Dadurch wurden die Deutschen zu einer
Minderheit gegenüber den Tschechen in Böhmen. Ein
vernünftiger Ausgleich zwischen zwei gleichstarken
Volksgruppen hätte ab 1918 vielleicht der Geschichte eine
andere Wendung gegeben. Als Maria Theresia später Galizien,
Lodomerien und die Bukowina gewann, gerieten die Deutschen in
der Gesamtmonarchie in die Minderheit. Aber nicht nur die
Kriege haben das Leben der Sudetendeutschen verändert,
sondern auch die Reformen der Kaiserin und ihres Sohnes Josefs
II. (Aufklärung, Merkantilismus, Industrialisierung,
Förderung einer ertragreichen Landwirtschaft, Abschaffung der
Leibeigenschaft und Folter, Einrichtung wirklicher
Volksschulen, gerechte Verteilung der Steuern, freie
Religionsausübung). Die josephinischen Reformen fanden auch
Kritiker. In den Alpenländern und in Ungarn und Galizien
traten die Bauern gegen den Kaiser auf, die Tschechen
grollten, weil er die Wenzelskrone nach Wien gebracht und sich
nicht in Prag hatte krönen lassen. Die sudetendeutschen
Bürger und Bauern aber waren die begeisterte und getreue
Gefolgschaft Josephs. Sie waren vom Ausgang des 18.
Jahrhunderts bis 1918 die wichtigsten Träger und
entschiedensten Vorkämpfer der josephinischen Staatsidee.
Kein Herrscher vor ihm, seit den Königen des Mittelalters,
hatte eine so unmittelbare Kenntnis der Verhältnisse in Stadt
und Land wie er. Oft trat er unerkannt auf und verriet erst
beim Abschied, daβ er der Kaiser sei. Eine Gestalt, in
der sich sudetendeutsches Wesen der josephinischen Zeit
besonders vollsaftig verkörpert, ist die des nordböhmischen
Dechanten Wenzel Hocke - des "Hockewanzel", wie er
im Volksmund hieβ. Josephs Nachfolger Leopold hat die
Reformära beendet und und die böhmische Krone nach Prag
zurückgebracht und damit die Standesherren versöhnt.
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