14.
Der Nationalitätenstreit in Österreich-Ungarn
In
dem Staatengebilde Östereich/Ungarn, welches 1867 entstanden
war, entstand ein erbitterter Nationalitätenstreit. Die
Länder des historischen Königreiches Böhmen forderten die
gleiche Unabhängigkeit, die man den Magyaren für das
Königreich der Stephanskrone gewährt hatte. Die Forderung
ging nicht durch. Gleichzeitig wurde ein zum Schutz der
Deutschen in den Sudetenländern vorgesehenes
Nationalitätengesetz, das Deutschen und Tschechen ein hohes
Maβ an nationaler Autonomie eingeräumt hätte, nicht
verwirklicht. Es mangelte an einem Nationalitäten- und
Sprachengesetz, welches von allen akzeptiert worden wäre. Es
bildeten sich nun auf beiden Seiten national orientierte
Vereine. Durch eine Sprachenverordnung wurde 1897 von den
Staatsbeamten Zweisprachigkeit auch in den nur von Deutschen
bewohnten Gebieten Böhmens, Mährens und Österr. Schlesiens
verlangt. Das wurde durch den Boykott aller Deutschen
Österreichs verhindert, weil es zur Tschechisierung deutscher
Siedlungsgebiete und Verdrängung vieler deutscher Beamter
geführt hätte. Auch die österreichischen Sozialdemokraten
setzten sich mit ihrem Nationalitätenprogramm 1899 in Brünn
nicht durch.
NATIONALITÄTENPROGRAMM - 1899
Das
hier ist ein Auszug aus dem Nationalitätenprogramm der
österreichischen Sozialdemokratie, welches am 18.
September 1899 in Brünn angenommen wurde und in dem
u.a. die Umwandlung Österreichs in einen demokratischen
Nationalitäten-Bundesstaat gefordert wurde.
"Die
endliche Regelung der Nationalitäten- und Sprachenfrage
in Österreich im Sinne des gleichen Rechts und der
Gleichberechtigung und Vernunft ist vor allem eine
kulturelle Forderung ...
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1.
Österreich ist umzubilden in einen demokratischen
Nationalitätenbundesstaat.
-
2.
An Stelle der historischen Kronländer werden
national abgegrenzte Selbstverwaltungskörper
gebildet, deren Gesetzgebung und Verwaltung durch
Nationalkammern, gewählt auf Grund des allgemeinen,
gleichen und direkten Wahlrechts, besorgt wird.
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3.
Sämtliche Selbstverwaltungsgebiete einer und
derselben Nation bilden zusammen einen national
einheitlichen Verband, der seine nationalen
Angelegenheiten völlig autonom besorgt.
4.
Das Recht der nationalen Minderheiten wird durch ein
eigenes, vom Reichsparlament zu beschlieβendes
Gesetz gewahrt.
5.
Wir erkennen kein nationales Vorrecht an, verwerfen
daher die Forderung einer Staatssprache; wie weit eine
Vermittlungssprache nötig ist, wird das
Reichsparlament bestimmen."
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Es
hatte nicht an vielen Versuchen von Seiten des Kaisers Franz
Joseph, weitsichtiger Politiker und zahlreicher
Wissenschaftler gefehlt, aber immer mehr wurde die Politik von
Schlagworten und demagogischen Manövern bestimmt. Regierungen
stürzten, hitzige parlamentarische Debatten entbrannten, es
kam zu Straβenschlachten und wochenlangen
Demonstrationen. Jungtschechen und Alldeutsche standen sich
unversöhnlich gegenüber. Besonders schlimm war es in den
gemischtnationalen Gegenden und Städten. Von 1893 - 1895 war
über Prag der Ausnahmezustand verhängt. Der Graben zwischen
Deutschen, Tschechen, Ungarn wurde immer tiefer. Juden starben
in Progromen, weil man sie für Deutsche hielt. Und das alles
in einer Zeit, da die ersten Wolken über Europa heraufzogen,
die Epoche der Weltpolitik begann und die groβen Mächte
um Kontinente würfelten. Die Sturmjahre brachten aber auch
aufbauende Leistungen. 1894 wurde der Bund der Deutschen in
Böhmen gegründet. Seit 1891 bestand die Gesellschaft zur
Förderung deutscher Kultur und Wissenschaft in Böhmen, 1903
wurde der Deutsche Volksrat ins Leben gerufen.
1889
beendete der hochbegabte Kronprinz Rudolf durch Selbstmord
sein Leben. Heute weiβ man, nachdem viele Quellen
erschlossen sind, daβ sein tragischer Tod nicht durch die
Liebesaffäre ausgelöst wurde. Politische Motive spielten
mit. Vor allem war Rudolf an der Zukunft Österreichs
verzweifelt. Sein Cousin Erzherzog Franz Ferdinand
verkörperte als Thronfolger eine robustere, jüngere
Generation. Seit 1905 war seine Hand im Staate zu spüren. Im
Jahre 1907 wurde das erste böhmische Parlament des
allgemeinen und gleichen Wahlrechts gewählt, in welchem
Vertreter deutscher, tschechischer und polnischer Parteien zu
gemeinsamer Arbeit vereinigt waren. In dem 1911 gewählten
Reichsrat verhinderte schon bald der Nationalitätenkampf die
Arbeit, er wurde 1914 arbeitsunfähig. Man regierte wieder mit
Notparagraphen. Vertagt wurden in Österreich alle wirklich
politischen Entscheidungen. Man schien auf den Tod des greisen
Monarchen und auf den Thronwechsel zu warten. Auf den
50jährigen Franz Ferdinand richteten sich alle Hoffnungen.
Sein Ziel war ein Reich mit kräftiger Zentralgewalt, in dem
alle gleichberechtigt sein und jedes ein hohes Maβ an
Selbstverwaltung genieβen sollte. Auβenpolitisch
erstrebte er ein enges Zusammengehen der drei Kaiserreiche
Deutschland, Österreich und Ruβland.
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