17.
Der sudetendeutsche Abwehrkampf
Die
sudetendeutschen Parteien, die mit ihren 72 Abgeordneten im
Parlament bei Geschlossenheit und weitsichtiger Planung
vielleicht etwas hätten bewirken können, erwiesen sich im
20. Jahrhundert als veraltet. Es mu βten
neue Kräfte gewonnen, vor allem der Jugend ein Weg in die
Zukunft gewiesen werden. Schon 1919 entstand die
"Böhmerlandbewegung", an der Prager Universität
gründete Ernst Leibl die studentischen Freischaren, die
deutsche Jugendbewegung griff vom Reich ins Sudetenland über,
später entfaltete sich die katholische Jugendbewegung im
Lande und an den Hochschulen. Emil Lehmann und Erich Gierach
schufen in Reichenberg einen Schwerpunkt der Volksbildungs-
und politischen Erziehungsarbeit. Aus dem Schulverein wurde
der Kulturbund. Die sudetendeutschen Turner stellten ihre
Erziehungsarbeit auf völlig neue Grundlagen. Die
sudetendeutschen Lehrer traten auf breiter Front zur
Volkstumsarbeit an. Viele neue Zeitschriften entstanden
damals. Das alles spielte sich abseits der politischen
Parteien ab. Die jungen Sudetendeutschen suchten ehrlich und
in ernster Sorge nach einem idealen Staat und einer gerechten
Gesellschaftsordnung. Noch immer hätte es eine zugleich
soziale und nationale Partei in der Hand gehabt, diese Jugend
zu gewinnen.
Als
1933 in Deutschland Hitler an die Macht kam, nahm die
tschechische Regierung das und die ihm folgende
Radikalisierung weiter Kreise des Sudetendeutschtums zum Anlaβ
politischer Zwangsmaβnahmen. Das war die Stunde Konrad
Henleins und der Gründung der Sudetendeutschen Heimatfront.
Kurz vor den Parlamentswahlen 1935 zwang man die Bewegung
ihren Namen zu ändern, sie nannte sich daraufhin
Sudetendeutsche Partei. In seinem Programm gestand Henlein die
Anerkennung des tschechischen Staates und seiner Verfassung zu
unter der Voraussetzung, daβ die Lebensrechte der
Deutschen gesichert würden. Je näher die Wahlen rückten,
desto gröβer wurde der Zulauf zur Henleinpartei. Henlein
selbst kandidierte bei den Wahlen nicht. Der Wahlsieg am 10.
Mai 1935 überstieg alle Erwartungen.
Im
Herbst 1935 trat der kranke Masaryk zurück und Benes wurde
Präsident der Republik. Schikanen und Zensur hielten an, die
Wirtschaftskrise dauerte weiter, die Tschechisierung ging
weiter. Die wachsende Macht Deutschlands und die Beseitigung
der Arbeitslosigkeit in Deutschland wirkten sich bei den von
der Krise heimgesuchten Sudetendeutschen als starkes
Werbemittel für den Nationalsozialismus aus. Die in der
Regierung vertretenen deutschen Parteien, Sozialdemokraten,
Christlichsoziale und der Bund der Landwirte, sahen die Gefahr
und versuchten, von der Regierung Zugeständnisse und
Verbesserungen für die Deutschen zu erreichen. Präsident
Benes und Ministerpräsident Hodza versprachen in Briefen an
die drei deutschen Regierungsparteien, von nun an die Stellen
im öffentlichen Dienst nach dem Bevölkerungsschlüssel zu
vergeben und geschehenes Unrecht im Rahmen des Möglichen
gutzumachen. Doch ein ganzes Jahr ist so gut wie nichts
geschehen.
Inzwischen
aber hatte sich ein Gewitter über der Tschechoslowakei
zusammengezogen. Damit wären alle Zugeständnisse zu spät
gekommen. Nachdem die Tschechen Heinz Rutha, Henleins auβenpolitischen
Berater, verhaftet und in den Tod getrieben hatten, geriet
Henlein immer mehr unter den Einfluβ der Radikalen. Auβerdem
löste der Anschluβ Österreichs am 13. März unter den
Sudetendeutschen Erwartungen auf eine Besserung der Lage aus.
Als Konrad Henlein am 28. März 1938 bei Hitler war, erklärte
dieser, "daβ er beabsichtige, das
tschechoslowakische Problem in nicht allzu langer Zeit zu
lösen". Er könne nicht länger dulden, "daβ
Deutsche drangsaliert würden
oder auf sie geschossen würde." Am 24. April forderte
die Sudetendeutsche Partei in Karlsbad die Herstellung der
vollen Gleichberechtigung der deutschen Volksgruppe mit dem
tschechischen Volk.
DAS
"KARLSBADER PROGRAMM" - 1938
Auf der
Tagung der Sudetendeutschen Partei in Karlsbad wurde am
24. April 1938 in 8 Punkten die "Herstellung der
vollen Gleichberechtigung der deutschen Volksgruppe mit
dem tschechischen Volk" gefordert.
-
1.
Herstellung der vollen Gleichberechtigung der
deutschen Volksgruppe mit dem tschechischen Volk.
-
2.
Anerkennung der sudetendeutschen Volksgruppe als
Rechtspersönlichkeit zur Wahrung dieser
gleichberechtigten Stellung im Staate.
-
3.
Feststellung und Anerkennung des sudetendeutschen
Siedlungsgebietes.
-
4. Aufbau
einer sudetendeutschen Selbstverwaltung im
sudetendeutschen Siedlungsgebiet in allen Bereichen
des öffentlichen Lebens, soweit es sich um die
Interessen und Angelegenheiten der deutschen
Volksgruppe handelt.
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5.
Schaffung gesetzlicher Schutzbestimmungen für jene
sudetendeutschen Staatsangehörigen, die auβerhalb
des sudetendeutschen Siedlungsgebietes ihrer
Volksgruppe leben.
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6.
Beseitigung des dem Sudetendeutschtum seit 1918
zugefügten Unrechts und Wiedergutmachung der ihm durch
dieses Unrecht entstandenen Schäden.
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7.
Anerkennung und Durchführung des Grundsatzes: Im
deutschen Gebiet deutsche öffentliche Angestellte.
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8. Volle
Freiheit des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum und
zur deutschen Weltanschauung.
Die
Gemeindewahlen im Mai / Juni 1938 brachten der
Sudetendeutschen Partei über 91% der deutschen Stimmen.
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